Frank Wedekind

Die Büchse der Pandora

Tragödie

 

 

Inhalt

 

Die Büchse der Pandora

Tragödie in drei Aufzügen

Aus der Vorrede zur dritten Auflage

Prolog in der Buchhandlung

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

 

 

 

Die Büchse der Pandora

Tragödie in drei Aufzügen

Nach dem Wortlaut
der Erstausgabe (1904)

 

 

AUS DER VORREDE
ZUR DRITTEN AUFLAGE
(1906)

Bei der Umarbeitung dieses Stückes leiteten mich folgende Beweggründe, die mich auch dazu veranlaßten, es in seiner neuen Form herauszugeben:

Nachdem die Anklage das Drama als ein jeden sittlichen und künstlerischen Wertes bares Machwerk bezeichnet hatte, wurden von sämtlichen drei Instanzen, die ein Urteil über das Stück zu fällen hatten, gerade seine sittlichen und künstlerischen Qualitäten anerkannt. Die Instanzen waren: das Königliche Landgericht I in Berlin, das Reichsgericht in Leipzig und das Königliche Landgericht II in Berlin.

Das Landgericht I war auf Grund dieser Anerkennung zur Freisprechung der Angeklagten und zur Freisprechung des Buches gelangt. Das Reichsgericht stellte sich auf den Standpunkt, daß sittliche und künstlerische Qualitäten nicht ausreichten, um einer Schrift den Charakter des Unzüchtigen zu nehmen, und hob auf Grund dieser Anschauung das erste Urteil auf. Das Landgericht II schloß sich der Auffassung des Reichsgerichts an und verfügte, während es die Angeklagten freisprach, die Vernichtung des Buches in seiner ehemaligen Form, wobei es aber seinen sittlichen und künstlerischen Qualitäten eine unvergleichlich sorgfältigere Würdigung zuteil werden ließ, als wie es bis dahin je in öffentlichen Besprechungen geschehen war.

Diese sittlichen und künstlerischen Qualitäten des Buches zu erhalten und sie von allen Schlacken zu säubern, die bei der ersten, immerhin nicht leichten Bewältigung des Stoffes künstlerischer Übermut und Schaffensfreude mit unterlaufen ließen, ist der Zweck dieser Aufgabe. Werte zu unterschlagen und verschwinden zu lassen, die von zwanzig deutschen Richtern, von ernsten gereiften Männern als vorhanden anerkannt wurden, vermag ich nicht zu verantworten. Bevor ich die Urteile der drei Instanzen veröffentliche, seien mir nur noch einige kurze, rein sachliche Bemerkungen erlaubt.

Die tragische Hauptfigur dieses Stückes ist nicht Lulu, wie von den Richtern irrtümlich angenommen wurde, sondern die Gräfin Geschwitz. Lulu spielt, von einzelnen Intrigen abgesehen, in allen drei Akten eine rein passive Rolle; die Gräfin Geschwitz dagegen gibt im ersten Akt den Beweis einer, ich darf getrost sagen, übermenschlichen Selbstaufopferung. Im zweiten Akt wird sie durch den Gang der Handlung zu dem Versuch gezwungen, das auf ihr lastende furchtbare Verhängnis der Unnatürlichkeit unter Aufbietung aller seelischen Energie zu überwinden, worauf sie im dritten Akt, nachdem sie die entsetzlichsten Seelenqualen mit stoischer Fassung ertragen, als Verteidigerin ihrer Freundin den Opfertod stirbt.

Das furchtbare Verhängnis der Unnatürlichkeit, das auf diesem Menschenkind lastet, zum Gegenstand ernster dramatischer Gestaltung zu wählen, wurde in keinem der drei über das Stück gefällten Urteile für unzulässig erklärt. Tatsächlich stehen ja auch in der alten griechischen Tragödie die Hauptfiguren fast immer außerhalb der Natürlichkeit. Sie sind aus Tantalus’ Geschlecht; von den Göttern war ihnen ein eherner Reif um die Stirn geschmiedet. Das heißt: trotz der gewaltigsten seelischen Evolutionen, die jedem, der ihrem Kampf beiwohnt, zum höchsten menschlichen Glück verhelfen würden, gelingt es ihnen nicht, den Fluch, der sie als ein unseliges Erbteil beherrscht, abzuschütteln, sondern sie gehen, unbrauchbar für die menschliche Gemeinschaft, unter den größten Qualen elend an ihrem Verhängnis zugrunde. Abschreckender kann für das Empfinden des Zuschauers die Unnatürlichkeit als solche nicht gebrandmarkt werden. Wenn der Zuschauer aus dieser Vorführung auch noch ästhetischen Genuß und einwandfreien seelischen Gewinn davonträgt, so erhebt das die Darstellung aus dem Gebiete der Moral in das Gebiete der Kunst.

Trotzdem hätte mich der Fluch der Unnatürlichkeit allein nicht dazu verlockt, ihn zum Gegenstand dramatischer Gestaltung zu wählen. Ich tat das vielmehr, weil ich dieses Verhängnis, wie es uns in unserer heutigen Kultur entgegentritt, tragisch noch nicht behandelt fand. Mich beseelte der Trieb, die gewaltige menschliche Tragik außergewöhnlich großer, völlig fruchtloser Seelenkämpfe dem Geschick der Lächerlichkeit zu entreißen und sie der Teilnahme und der Barmherzigkeit aller nicht von ihr Betroffenen näherzubringen. Als eines der wirksamsten Mittel zur Erreichung dieses Ziel schien es mir nötig, das niedrige Gespött und das gellende Hohngelächter, das der ungebildete Mensch für diese Tragik bereit hat, in einer möglichst ausdrucksvollen Form zu verkörpern. Zu diesem Zweck schuf ich die Figur des Kraftmenschen Rodrigo Quast. Rodrigo Quast ist der Gegenspieler der Gräfin Geschwitz. Während der Arbeit war ich mir der Aufgabe vollkommen bewußt, daß sich die seelischen Evolutionen, in die die Gräfin Geschwitz durch ihr Unglück gepeitscht wird, in sittlicher Hinsicht um so höher erheben mußten, je brutaler ich die Witze dieses Kraftmenschen gestaltete. Ich war mir völlig klar, daß die Witze durch den Ernst, mit dem ich das Geschick der Gräfin Geschwitz behandelte, immer und immer wieder entkräftet und überflügelt werden mußten, und daß zum Schluß der tragische Ernst als bedingungslos anerkannter Sieger den Kampfplatz behaupten mußte, wenn das Werk seinen Zweck erfüllen sollte.

Daß es mir mit dem letzten Akt des Stückes gelungen ist, diesen Eindruck hervorzurufen, haben sämtliche Aufführungen bestätigt. Aber auch die über das Drama in seiner ehemaligen Form gefällten Urteile würdigen diese Tatsache. Das Urteil des Reichsgerichts und mit ihm das des Königlichen Landgerichts II in Berlin bestreiten nur, daß der beabsichtigte Eindruck der Tragik auch im ªnormalen Leser´ hervorgerufen werde. Natürlich nicht unbedingt! Denn zu der großen Masse ªnormaler Leser´ gehört in erster Linie auch der ungebildete Mensch, der in dem Drama selber als Athlet auftritt und gegen dessen gellendes Hohngelächter die Tendenz des Stückes gerichtet ist. Der durch die Satire Gegeißelte empfindet deren Wirkung aber natürlich nicht durch die Lektüre allein, sondern erst dann, wenn er zu seiner großen Überraschung sieht, wie gebildete Menschen das von ihm entworfene Charakterbild lächerlich und verächtlich finden. Übrigens reichen die Unflätigkeiten, die ich diesem Kraftmenschen in den Mund legte, nicht im entferntesten an diejenigen eines Falstaff, Mephisto oder Spiegelberger heran.

Als ich dieses Drama in seiner ehemaligen Form veröffentlichte, war ich in tiefster Seele von der Überzeugung durchdrungen, damit einer Forderung höchster menschlicher Sittlichkeit zu genügen. Ebenso klar war ich mir über die Tatsache, daß die Veröffentlichung eine Anklage wegen Vergehens gegen die Sittlichkeit oder wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften zur Folge haben könnte. Daß die von mir erwartete Folge eintrat, ist mir so wenig ein Beweis gegen wie für die Richtigkeit meiner Überzeugung. Aber es lag von jeher im Wesen unserer geistigen Entwicklung, daß ein Mensch, der auf irgendeinem geistigen Gebiet einen entscheidenden Schritt vorwärts tut, wegen Verletzung dieses selben Gebietes vor den Richter gestellt wird. Ein Arzt, der im Vertrauen auf seine Forschung eine vorher noch nicht erprobte Exstirpation vornimmt, setzt sich dadurch von vornherein und mit vollem Bewußtsein der Gefahr aus, wegen Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung angeklagt zu werden. Erfahrungsgemäß berührten sich ja auch alle diejenigen Gebiete in ihren äußersten Konsequenzen, die sich in ihren gewohnten Erscheinungsformen als stärkste Gegensätze gegenüberstehen. Heilmittel und Gift unterscheiden sich nur durch die Art ihrer Verwendung. Erhabenheit und Lächerlichkeit werden von der Mitwelt selten zuverlässig unterschieden. Das wahrhaft Erhabene wurde in seinen Anfängen fast immer als lächerlich empfunden, und wie manches Gebaren, das von allen Beteiligten als erhaben empfunden wurde, entpuppte sich im Handumdrehen als größte Lächerlichkeit! Summum jus und summa injuria sind Begriffe, die sich bis ans Ende aller Zeiten decken werden.

Die Norm, die unsere Kultur für die in diesem Gedankengang erwähnten Tatsachen seit zwei Jahrtausenden festgehalten hat und die ihre Geltung voraussichtlich in alle Ewigkeit behalten wird, ist das Schicksal unseres Religionsstifters, der vom Synedrium in Jerusalem wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt wurde. Dabei ergibt sich aus der Darstellung der Evangelien, daß sich das Synedrium erst nach langem Zögern und mit äußerstem Widerstreben des Falles annahm, gezwungen durch die Herausforderung, die ihm gar keine Wahl mehr übrigließ, nämlich durch das im Vorhof des Allerheiligsten ausgesprochene Gleichnis von der Zerstörung des Tempels und seinem nicht mehr als drei Tage in Anspruch nehmenden Wiederaufbau. Ebenso ergibt sich aus den Evangelien, daß das Synedrium seines Richteramtes mit einer Würde waltete, die von keinem Richter der Welt übertroffen werden kann. Trotzdem ist in solchen Fällen das Verhängnis, gerichtet zu werden, besser als das Verhängnis, richten zu müssen.

Der letzte Grund, weshalb ich diesen als Norm bezeichneten Fall bei der Besprechung der über mein Stück in seiner damaligen Form gefällten Urteile erwähne, ist der Unterschied zwischen bürgerlicher Moral, zu deren Schutz der Richter berufen ist, und menschlicher Moral, die sich jeder irdischen Gerichtsbarkeit entzieht. In allen drei über das Drama gefällten Urteilen wurde die käufliche Liebe ohne weiteres als Unsittlichkeit und ihre Ausübung als Unzucht bezeichnet. Diese Bezeichnung ist vom Standpunkt der bürgerlichen Moral aus vollkommen zutreffend.

Nun haben sich aber ehrwürdige Dichter aller Zeiten von König Cudraka (ªDas irdene Wägelchen´) bis Goethe (ªDer Gott und die Bajadere´) berufen gefühlt, die käufliche Liebe gegen diese Verurteilung in Schutz zu nehmen. Und Jesus Christus sagt zu den Geistlichen und Richtern seiner Zeit, wie ich schon an einer anderen Stelle einmal hervorhob: ªWahrlich, ich sage euch, die Steuereintreiber und die Huren werden eher in das Reich Gottes kommen als ihr.´ (Evangelium Matthäi, Kap. 21, V. 31.) Von seinem Standpunkte aus kann Jesus Christus gar nicht logischer, gar nicht folgerichtiger sprechen, denn er baut das Reich Gottes für die Mühseligen und Beladenen, nicht für die Reichen, für die Kranken, nicht für die Gesunden, für die Sünder, nicht für die Gerechten.

Aber, höre ich den Richter fragen, geht denn die Kultur nicht jämmerlich daran zugrunde, daß die Mühseligen, die Kranken und die Sünder in dieser Moral ihre Rechtfertigung finden? – Auf diese Frage weiß ich Antworten vollauf, die jede Besorgnis beschwichtigen; denn wenn die menschliche Moral höher als die bürgerliche stehen will, dann muß sie allerdings auch auf eine tiefere, umfassendere Kenntnis vom Wesen der Welt und des Menschen gegründet sein. Aber ich dränge mich ohne ausdrückliche Aufforderung nicht zu der Aufgabe, die Aussprüche unseres Religionsstifters vor dem Richter zu verteidigen.

Ich lasse nun die drei über das Stück in seiner ehemaligen Form gefällten Urteile folgen. [...]

Die hier vorliegende Neubearbeitung des Stückes entstand auf folgende Weise: Im Herbst 1903 veranstaltete Emil Meßthaler, der Leiter des Intimen Theaters in Nürnberg, einen Zyklus von Aufführungen meiner Dramen und redete mir bei der Gelegenheit dringend zu, eine Bühnenbearbeitung der ªBüchse der Pandora´ herzustellen. Da ich das Stück, ohne im Traum an eine Bühnenaufführung zu denken, geschrieben hatte, zögerte ich, darauf einzugehen, bis mir Meßthaler eine vom Dramaturgen seines Theaters vorgenommene Umarbeitung mir der Anfrage zuschickte, ob ich mit deren Aufführung einverstanden sei. Als ich daraufhin selbst an die Arbeit ging, ergab sich für mich als selbstverständliche Bedingung, daß jedes herausfordernde Wort, das nicht unbedingt zum Verständnis der Handlung notwendig war, wegfallen mußte, weil das Theaterpublikum nicht wie der Leser in der Lage ist, die Absichten des Autors Schritt für Schritt prüfen zu können. Wenn ich als Ethiker die Arme frei haben wollte, mußte ich als Künstler jedem Widerspruch aus dem Wege gehen. Am 1. Februar 1904 fand dann die Uraufführung im Intimen Theater in Nürnberg statt. Ich habe nun den Text, der bei dieser Aufführung Verwendung fand, von den Gesichtspunkten aus geprüft, die in der Verhandlung vor dem Königlichen Landgericht II in Berlin für den Richter maßgebend waren, als er die Vernichtung der Druckschrift verfügte, in der das Drama in seiner früheren Form erschienen war. Ich habe alles, was mir, von diesen Gesichtspunkten aus beurteilt, noch als unzulässig erschien, sorgfältig vermieden; und ich habe, wie ich hier mit allem Vorbehalt gestehen möchte, den Eindruck, daß meine Arbeit dadurch nicht nur an sittlicher, sondern auch an künstlerischer Würde gewonnen hat. In diesem Bewußtsein übergebe ich dieses Buch der Öffentlichkeit.

An Stelle eines Personenverzeichnisses lasse ich den drei Akten den Theaterzettel der von Karl Kraus vor einem Jahr in Wien veranstalteten Aufführung vorausgehen.

Berlin, den 1. Mai 1906 Frank Wedekind

 

Trianon-Theater

(Nestroyhof)

Wien, 29. Mai 1905

Einleitende Vorlesung von Karl Kraus

Hierauf:

Die Büchse der Pandora

Tragödie in drei Aufzügen von Frank Wedekind.

Regie: Albert Heine.

Lulu Tilly Newes

Alwa Schön, Schriftsteller O. D. Potthof

Rodrigo Quast, Athlet Alexander Rottmann

Schigolch Albert Heine

Alfred Hugenberg, Zögling einer

Korrektionsanstalt Tony Schwanau

Die Gräfin Geschwitz Adele Sandrock

Marquis Casti-Piani Anton Edthofer

Bankier Puntschu Gustav d’Olbert

Journalist Heilmann Wilhelm Appelt

Magelone Adele Nova

Kadidja di Santa Croce, ihre Tochter Iduschka Orloff

Binanetta Gazil Dolores Stadlon

Ludmilla Steinherz Claire Sitty

Bob, Groom Irma Karczewska

Ein Polizeikommissär Egon Friedll

Herr Hunidei Ludwig Ströb

Kungu Pote, kaiserlicher Prinz von Uahubee Karl Kraus

Dr. Hilti, Privatdozent Arnold Korff

Jack Frank Wedekind

Der erste Akt spielt in Deutschland, der zweite in Paris,

der dritte in London.

Anfang präzise _8 Uhr.

 

PROLOG IN DER BUCHHANDLUNG

Nach dem Wortlaut
der ªGesammelten Werke´ (1913)

Personen

Der normale Leser

Der rührige Verleger

Der verschämte Autor

Der hohe Staatsanwalt

Der Prolog kann in entsprechenden Überkleidern und Kopfbedeckungen von den Darstellern des Rodrigo, des Casti-Pianti, des Alwa und des Schigolch gesprochen werden. Rodrigo in hellem Sommerüberzieher und Lodenhütchen, Casti-Pianti in Schlafrock und Samtkäppchen, Alwa in Havelock und Schlapphut, Schigolch in Talar und Barett.

Szenerie: Ein Zwischenvorhang, ein primitives Büchergestell.

Der normale Leser

schwankt herein

Ich möchte gern ein Buch bei Ihnen kaufen.

Was drin steht, ist mir gänzlich einerlei.

Der Mensch lebt, heißt es, nicht allein vom Saufen.

Auch wünsch’ ich dringend, daß es billig sei.

Die älteste Tochter will ich zum Gedenken

Der ersten Kommunion damit beschenken.

Der rührige Verleger

Da kann ich Ihnen warm ein Buch empfehlen,

Bei dem das Herz des Menschen höher schlägt.

Heut lesen es schon fünf Millionen Seelen,

Und morgen wird’s von neuem aufgelegt.

Für jeden bleibt’s ein dauernder Gewinn,

Steht doch für niemand etwas Neues drin.

Der verschämte Autor

schleicht herein

Ein Buch möchte’ ich bei Ihnen drucken lassen;

Zehn Jahre meines Lebens schrieb ich dran.

Das Weltall hofft’ ich brünstig zu umfassen

Und hab’s kaum richtig mit dem Weib getan.

Was lernend ich dabei als wahr empfand,

Hab’ ich in schlottrig schöne Form gebannt.

Der hohe Staatsanwalt

stürmt herein

Ich muß ein Buch bei Ihnen konfiszieren,

Vor dem die Haare mir zu Berge stehn.

Erst sah den Kerl man alle Scham verlieren,

Nun läßt er öffentlich für Geld sich sehn.

Drum werden wir ihn nach dem Paragraphen

Einhundertvierundachtzig streng bestrafen.

Der verschämte Autor

lächelnd

Mich strafen? Nein! Des Schaffens Götterfreuden

Raubt mir auch nicht die härteste Strafe mehr.

Wer sträubt sich jemals, für sein Kind zu leiden?

An solchem Glück läßt dein Beruf dich leer.

Mich kannst du foltern, würgen, schinden, henken,

Mein Werk wird das an keinem Worte kränken!

Der hohe Staatsanwalt

Dir schwör’ ich’s zu, daß du mit frechen Witzen

Nicht länger der Verdammnis Opfer wirbst.

Normale Leser muß ich davor schützen.

Daß du sie grinsend bis ins Mark verdirbst.

Zwei Jahre Gefängnis sind dein sichrer Lohn;

Für Ehrverlust sorgst du ja selber schon.

Der normale Leser

Jetzt möchte’ ich stracks mein Buch bei Ihnen kaufen.

Ich finde dies Betragen unerhört.

Laß ich die eignen Kinder christlich taufen,

Damit mich Hunger umbringt, Durst verzehrt?

Wenn ihr die Zänkerei nicht bald beendet,

Dann wird das Geld auf Eierpunsch verwendet.

Der hohe Staatsanwalt

Schließ ihn in die Arme, worauf der normale Leser in Tränen ausbricht

Bejammernswürdiges Opfer! Abgetötet

In deinem Busen starb die heilige Scheu.

Ward diesem Wicht nur erst einmal sein Maul verlötet,

Dann keimen Zucht und Frömmigkeit aufs neu.

Zwei Jahre Gefängnis! Ich behaupte dreist,

Daß er dann ewig keinen Witz mehr reißt.

Der verschämte Autor

Wie sollte mich wohl ein Gerichtshof schrecken!

Wer weiß, ob mir nicht gar sein Eifer nützt,

Die Schwächen meines Schauspiels aufzudecken,

So wahr, wie echte Kunst sich selbst beschützt.

Ich bin’s gewiß: Man kann sich nicht entbrechen

Von jeder Schuld mich freundlich freizusprechen.

Der hohe Staatsanwalt

Spricht man dich frei – womit uns Gott verschone! –

Noch selbigen Tags leg’ ich Berufung ein.

Nicht jeder Richter trägt der Weisheit Krone,

Um so verständiger wird ein nächster sein.

Und zeigt auch der sich für den Autor sanft,

Dein Schauspiel sicherlich wird eingestampft.

Der verschämte Autor

Dann laß ich es zum zweiten Male drucken,

Und zwar in ernsterer, edlerer Gestalt,

Nicht mehr im Gaunerwelsch der Mamelucken,

Im klarsten Deutsch und ohne Hinterhalt.

Ich bin’s gewiß: Dann muß es ihm gelingen,

Sich unbehelligt selber durchzuringen.

Der hohe Staatsanwalt

Grundgütiger Galgen! Dann fehlt nichts auf Erden,

Als daß dies Stück noch auf die Bühne kommt.

Doch vorher soll es so geläutert werden,

Daß es dir nicht mehr zur Reklame frommt.

Der Weg für deinen giftgen Höllenkrater

Führt über meinen Leichnam zum Theater.

Der verschämte Autor

Was schiert mich das Theater! Unsere kühne

Tagtäglichkeit erreicht’s bekanntlich nie.

Das menschliche Gehirn sie meine Bühne,

Mein Lieblingsregisseur die Phantasie.

Zum hohen Staatsanwalt

Und dir wird nichts Geringres übrigbleiben,

Als selbst mir den Prolog dafür zu schreiben.

Der rührige Verleger

sich zwischen beide drängend

Prolog ist herrlich! Druckt ihn eine Zeitung,

Dann sind wir schon so gut wie aufgeführt.

Nun sorg’ ich hurtig für des Buchs Verbreitung,

Prospekte werden schleunigst expediert.

Und eh’ das Publikum noch Platz genommen,

Bin ich gewiß, daß keine Krebse kommen.

Der normale Leser

gleichfalls die Mitte nehmend

Dann pflanz’ ich breit mich in die erste Reihe

Mit meinem Freibillett und schnarche laut.

Das ahnt kein Mensch, wie ich mich dran erfreue,

Wenn so wer Schnitzler oder Shakespeare kaut.

Ist’s nicht genug, daß christlich ich verzeihe

Und niemand merkt, wie sehr mir davor graut?

Chorus:

Der hohe Staatsanwalt

hält den Arm um den normalen Leser geschlungen

So pflegen wir gemeinsam das Gehege

Dramatischer Dichtung mit verteilter Kraft.

Der normale Leser

Wenn ich auch meinen Wanst am liebsten pflege,

Mir fehlt doch nie die große Leidenschaft.

Der rührige Verleger

hält den Arm um den verschämten Autor geschlungen

Ich freue mich, wenn sich die Menschen freuen,

Am ehrlichsten am Funkelnagelneuen.

Der verschämte Autor

Wenn’s not tut, geb’ ich meine Freiheit hin

Für dich, o Muse, meine Herrscherin.

 

PERSONEN

Lulu

Alwa Schön, Schriftsteller

Rodrigo Quast, Athlet

Schigolch

Alfred Hugenberg, Zögling einer Korrektionsanstalt

Die Gräfin Geschwitz

Graf Casti-Piani

Bankier Puntschu

Journalist Heilmann

Madelaine de Marelle

Kadéga di Santa Croce, ihre Tochter

Bianetta Gazil

Ludmilla Steinherz

Armane, Zimmermädchen

Bob, Liftjunge

Ein Polizeikommisär

Mr. Hopkins

Kungu Poti, kaiserlicher Prinz von Uahube

Dr. Hilti, Privatdozent

Jack

Der erste Akt spielt in einer deutschen Großstadt, der zweite in

Paris, der dritte in London

 

ERSTER AUFZUG

Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond aus geschnitztem Eichenholz. Die Wände sind bis zur halben Höhe mit dunklen Holzskulpturen bekleidet; darüber an beiden Seiten verblaßte Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der rechts eine monumentale Treppe bis zu halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie befindet sich die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der linken Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin, weiter vorne ein Balkonfenster vor dem Treppenfuß eine geschlossene Portière.

Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers steht eine leere dekorative Staffelei; rechts vorne befindet sich eine breite Ottomane, in der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch, um den drei hochlehnige Polstersessel stehen. Links vorn ein kleiner Serviertisch, daneben ein Lehnsessel. Der Saal ist durch eine auf dem Mitteltisch stehende, tiefverschleierte Petroleumlampe matt erhellt. Alwa Schön geht vor der Eingangstür auf und nieder. Auf der Ottomane sitzt Rodrigo, als Bedienter gekleidet. Links in dem Lehnsessel, in schwarzem enganliegenden Kleid, tief in Kissen gebettet, einen Plaid über den Knien, sitzt die Gräfin Geschwitz. Neben ihr auf dem Tisch steht eine Kaffeemaschine und eine Tasse mit schwarzem Kaffee.

Rodrigo Er läßt auf sich warten wie ein Konzertmeister!

Die Geschwitz Ich beschwöre Sie, sprechen Sie nicht!

Rodrigo Es soll einer die Klappe halten, wenn er den Kopf so voll Gedanken hat wie ich! – Es will mir ganz und gar nicht einleuchten, daß sie sich dabei sogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben soll!

Die Geschwitz Sie ist herrlicher anzuschauen, als ich sie je gekannt habe!

Rodrigo Behüte mich der Himmel davor, daß ich mein Lebensglück auf Ihre Geschmacksrichtungen gründe! Wenn ihr die Krankheit ebenso gut angeschlagen hat wie Ihnen, dann bin ich pleite! Sie verlassen die Isolierbaracke wie eine verunglückte Kautschukdame, die sich aufs Kunsthungern geworfen hat. Sie können sich kaum mehr die Nase schneuzen. Erst brauchen Sie eine Viertelstunde, um ihre Finger zu sortieren, und dann bedarf es der größten Vorsicht, damit Sie die Spitze nicht abbrechen.

Die Geschwitz Was unter die Erde bringt, gibt ihr Kraft und Gesundheit wieder.

Rodrigo Das ist alles schön und gut. Ich werde aber doch vermutlich heute abend noch nicht mit fahren.

Die Geschwitz Sie wollen Ihre Braut am Ende gar allein reisen lassen?

Rodrigo Erstens fährt doch der Alte mit, um sie im Ernstfalle zu verteidigen. Meine Begleitung kann sie nur verdächtigen. Und zweitens muß ich hier noch abwarten, bis meine Kostüme fertig sind. – Ich komme immer noch früh genug nach Paris. Hoffentlich legt sie sich derweil auch noch etwas Embonpoint zu. Dann wird geheiratet, vorausgesetzt, daß ich sie vor einem anständigen Publikum produzieren kann. Ich liebe an einer Frau das Praktische; welche Theorien sich die Weiber machen, ist mir vollkommen egal. Ihnen nicht auch, Herr Doktor?

Alwa Ich habe nicht gehört, was Sie sagten.

Rodrigo Ich hätte meine Person gar nicht in das Komplott verwickelt, wenn sie mir nicht vor ihrer Verurteilung schon immer die Plauze gekitzelt hätte. Wenn sie sich in Paris nur nicht gleich wieder zuviel Bewegung macht! Wenn ich nicht in die ªFolies Bergère´ engagiert wäre, nähme ich sie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe sie Plumkakes futtern. In London geht man schon allein durch die Seeluft auf. Außerdem fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier immer gleich die Schicksalshand an der Gurgel.

Alwa Ich frage mich seit acht Tagen, ob sich jemand, der zu Zuchthausstrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde.

Die Geschwitz Käme der Mensch nur endlich mal!

Rodrigo Ich muß hier auch meine Requisiten noch aus dem Pfandleihhaus auslösen; sechshundert Kilo vom besten Eisen. Der Transport kostet mich immer dreimal mehr als mein eigenes Billett. Dabei ist die ganze Ausrüstung keinen Hosenknopf wert. Als ich schweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten sie mich, ob die Sachen auch echt seien. – Die Kostüme hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen lassen sollen. Der Pariser zum Beispiel merkt auf den ersten Blick, wo man seine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer drauflos. Aber das lernt sich nicht mit untergeschlagenen Beinen; das will an klassisch gebildeten Menschen studiert sein. Hier haben sie eine Angst vor der bloßen Haut wie in Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe verknallt, wie man sah, daß ich ein paar Haare auf der Brust habe, nicht so viel wie zu einer anständigen Zahnbürste nötig sind. Aber der Kultusminister meinte, die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude am Strümpfestricken verlieren. Seitdem lasse ich mich jeden Monat einmal rasieren.

Alwa Wenn ich jetzt nicht meine ganze geistige Spannkraft zu dem ªWeltbeherrscher´ nötig hätte, möchte ich das Problem wohl auf seine Tragfähigkeit erproben. Das ist der Fluch, der auf unserer jungen deutschen Literatur lastet, daß wir Dichter viel zu literarisch sind. Wir kennen keine anderen Fragen und Probleme als solche, die unter Schriftstellern und Gelehrten auftauchen. Unser Gesichtskreis reicht über die Grenzen unserer Zunftinteressen nicht hinaus. Um wieder auf die Fährte einer großen gewaltigen Kunst zu gelangen, müßten wir uns möglichst viel unter Menschen bewegen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben, denen die einfachsten animalischen Instinkte bei ihren Handlungen maßgebend sind. In meinem ªTotentanz´ habe ich schon aus voller Kraft nach diesen Prinzipien zu arbeiten gesucht. Das Weib, das mir zu der Hauptfigur des Stückes Modell stehen mußte, atmet heute seit einem vollem Jahr hinter vergitterten Fenstern. Dafür wurde das Drama sonderbarerweise allerdings auch nur von der freien literarischen Gesellschaft zur Aufführung gebracht. Solange mein Vater noch lebte, standen meinen Schöpfungen sämtliche Bühnen Deutschlands offen. Das hat sich gewaltig geändert.

Rodrigo Ich habe mir Trikots im zartesten Blau-Grün anfertigen lassen. Wenn die im Ausland keinen Sukzeß haben, dann will ich Mausefallen verkaufen. Die Trußhöschen sind so graziös, daß ich mich damit auf keine Tischkante setzen kann. Der vorteilhafte Eindruck wird nur durch meine fürchterliche Plauze gestört, die ich meiner tätigen Mitwirkung in dieser großartigen Verschwörung zu danken habe. Bei gesunden Gliedern drei Monate im Krankenhaus liegen, das muß den heruntergekommensten Landstreicher zum Mastschwein machen. Seit ich heraus bin, futtere ich nichts als Karlsbader Pastillen; Tag und Nacht habe ich Orchesterprobe in den Gedärmen. Bis ich nach Paris komme, werde ich so ausgeschwemmt sein, daß ich keinen Flaschenstöpsel mehr hochheben kann.

Die Geschwitz Wie ihr gestern im Krankenhaus das Wachtpersonal aus dem Wege ging, das war ein erquickender Anblick. Der Garten war ausgestorben. In der herrlichsten Mittagssonne wagten sich die Rekonvaleszenten nicht aus den Haustüren. Ganz hinten in der Isolierbaracke trat sie unter den Maulbeerbäumen vor und wiegte sich auf dem Kies in den Knöcheln. Der Portier hatte mich wiedererkannt, und ein Assistenzarzt, der mir im Korridor begegnete, fuhr zusammen, als hätte ihn ein Revolverschuß getroffen. Die Krankenschwestern huschten in die Säle oder blieben an den Wänden kleben. Als ich zurückkam, war weder im Garten noch unter dem Portal eine Seele zu sehen. Die Gelegenheit hätte ich nicht schöner finden können, wenn wir die verfluchten Pässe gehabt hätten. Und jetzt sagt der Mensch, er fahre nicht mit!

Rodrigo Ich verstehe die armen Spitalbrüder. Der eine hat einen wehen Fuß, der andere hat eine geschwollene Backe; da taucht die leibhaftige Todesversicherungsagentin mitten unter ihnen auf. In den Rittersälen – so heißt die gesegnete Abteilung, von der aus ich meine Spionage organisierte –, als sich da die Kunde verbreitete, daß die Schwester Theophila mit Tod abgegangen sei, da war keiner der Kerle im Bett zu halten. Sie kletterten an den Fenstergittern hinauf, und wenn sie ihre Leiden zentnerweise mitschleppten. Im Leben habe ich kein solches Fluchen gehört.

Alwa Erlauben Sie mir, Fräulein von Geschwitz, noch einmal auf meinen Vorschlag zurückzukommen. Die Frau hat in diesem Zimmer meinen Vater erschossen; trotzdem kann ich in dem Morde wie in der Strafe nichts anderes als ein entsetzliches Unglück sehen, das sie betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre er mit dem Leben davongekommen, seine Hand nicht vollständig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungsplan gelingen wird, scheint mir immer noch zweifelhaft, obschon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Aufopferung, Ihrer Tatkraft, Ihrer übermenschliche Todesverachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann soviel für eine Frau, geschweige denn für einen Freund aufs Spiel gesetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von Geschwitz, wie reich Sie sind; aber die Ausgaben für diese Bewerkstelligungen müssen Ihre Vermögensverhältnisse zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von zwanzigtausend Mark anbieten, dessen Herbeischaffung in barem Geld für mich mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden wäre?

Die Geschwitz Wie wir gejubelt haben, als die Schwester Theophila glücklich tot war! Von dem Tage an waren wir ohne Aufsicht. Wir wechselten nach Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Frisur gemacht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach. Wenn der Professor kam, redete er sie per gnädiges Fräulein an und sagte zu mir: ªHier lebt sich’s besser als im Gefängnis!´ – Als die Schwester plötzlich ausblieb, sahen wir einander gespannt an; wir beide waren fünf Tage krank; jetzt mußte es sich entscheiden. Am nächsten Morgen kam der Assistenzarzt. – ªWie geht es der Schwester Theophila?´ – ªTot.´ – Wir verständigten uns hinter seinem Rücken, und als er hinaus war, sanken wir uns in die Arme: ªGott sei Dank! Gott sei Dank!´ – Welche Mühe es kostete, damit mein Liebling nicht verriet, wie gesund er schon war! – ªDu hast neun Jahre Gefängnis vor dir!´ rief ich von früh bis spät. – Man läßt sie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in der Isolierbaracke.

Rodrigo Ich habe volle drei Monate im Krankenhaus gelegen, um das Terrain zu sondieren, nachdem ich mir die Qualitäten zu einem so ausgedehnten Aufenthalt auch erst mühsam zusammenhausiert hatte. Jetzt spiele ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener, damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo hat je ein Bräutigam mehr für seine Braut getan? Meine Vermögensverhältnisse sind auch zerrüttet.

Alwa Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer anständigen Künstlerin auszubilden, dann haben Sie sich um Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament und der Schönheit, die sie aus dem Innersten ihrer Natur heraus zu geben hat, kann sie das blasierteste Publikum in Atem halten. Dabei wäre sie durch die Wiedergabe der Leidenschaft davor geschützt, zum zweitenmal in Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden.

Rodrigo Ich will ihr ihre Zicken schon austreiben!

Die Geschwitz Da kommt er!

Auf der Galerie werden Schritte laut; dann teilt sich der Vorhang über die Treppe, und Schigolch im langen, schwarzen Gehrock, einen weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.

Schigolch Vermaledeite Finsternis! – Draußen brennt einem die Sonne die Augen aus.

Die Geschwitz sich mühsam aus der Decke wickelnd Ich komme schon!

Rodrigo Gräfliche Gnaden haben seit drei Tagen kein Tageslicht mehr gesehen. Wir leben hier wie in einer Schnupftabaksdose.

Schigolch Seit heute früh um neun fahre ich bei allen Lumpensammlern herum. Drei nagelneue Koffer, vollgestopft mit alten Hosen, habe ich über Bremerhaven nach Amerika spediert. Die Beine baumeln mir wie Glockenschwengel am Leib. Das soll ein anderes Leben in Paris werden!

Rodrigo Wo wollt ihr denn in Paris absteigen?

Schigolch Hoffentlich nicht gleich wieder im Hotel ªOchsenbutter´!

Rodrigo Ich kann euch das Hotel ªMonespant´ am Boulevard Rochechouart empfehlen. Ich wohnte dort mit einer Löwenbändigerin. Die Leute sind geborene Berliner.

Die Geschwitz sich im Rohrstuhl aufrichtend Helfen Sie mir doch!

Rodrigo eilt herbei und stützt sie Dabei seid ihr dort sicherer vor der Polizei als auf dem hohen Turmseil!

Die Geschwitz Er will Sie nämlich heute nachmittag allein mit ihr reisen lassen.

Schigolch Er leidet wohl noch an seinen Frostbeulen!

Rodrigo Verlangt ihr denn von mir, daß ich in den ªFollies-Bergère´ in Schlafrock und Pantoffeln debütiere?

Schigolch Hm – die Schwester Theophila wäre auch nicht so prompt gen Himmel gefahren, wenn sie sich für unsere Patientin nicht so liebevoll erwärmt hätte.

Rodrigo Wenn einer den Honigmond bei ihr abzudienen hat, wird sie sich noch ganz anders zur Geltung bringen. Es kann ihr jedenfalls nicht schaden, wenn sie sich vorher noch etwas auslüftet.

Alwa eine Brieftasche in der Hand, zur Geschwitz, die auf eine Stuhllehne gestützt am Mitteltisch steht Diese Tasche enthält zehntausend Mark.

Die Geschwitz Ich danke, nein.

Alwa Ich bitte Sie, sie zu nehmen.

Die Geschwitz zu Schigolch Kommen sie doch endlich.

Schigolch Geduld, mein Fräulein. Es ist ja nur der Katzensprung über die Spitalstraße. – In fünf Minuten bin ich mit ihr hier.

Alwa Sie bringen sie her?

Schigolch Ich bringe sie her. – Oder fürchten Sie für Ihre Gesundheit?

Alwa Das sehen Sie doch, daß ich nichts fürchte.

Rodrigo Der Herr Doktor ist nach dem letzten Drahtbericht auf der Reise nach Konstantinopel begriffen, um seinen ªTotentanz´ von Haremsdamen und Kastrierten vor dem Sultan zur Aufführung bringen zu lassen.

Alwa die Mitteltür unter der Galerie öffnend Sie gehen hier näher. Schigolch und die Gräfin Geschwitz verlassen den Saal. Alwa verschließt die Türe hinter ihnen.

Rodrigo Sie wollten der verrückten Rakete noch Geld geben.

Alwa Was geht Sie das an?!

Rodrigo Mich honoriert man wie einen Lampenputzer, obschon ich sämtliche Schwestern im Spital habe demoralisieren müssen. Dann kamen die Herren Assistenten und Geheimräte an die Reihe. Und dann ...

Alwa Wollen Sie mir im Ernste weismachen, daß sich die Assistenzärzte durch Sie haben beeinflussen lassen?

Rodrigo Mit dem Gelde, das mich diese Hunde gekostet haben, könnte ich in Amerika Präsident der Vereinigten Staaten werden.

Alwa Fräulein von Geschwitz hat Ihnen doch jeden Pfennig, den Sie ausgegeben haben, zurückerstattet. Soviel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monatliches Salär von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt einem manchmal ziemlich schwer, an Ihre Liebe zu der unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben Fräulein von Geschwitz darum bat, meine Hilfe anzunehmen, so geschah es gewiß nicht, um Ihre unersättliche Goldgier anzustacheln. Die Bewunderung, die ich vor Fräulein von Geschwitz in dieser Sache hegen gelernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht. Es ist mir überhaupt unklar, was Sie an mich für Ansprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Ermordung meines Vaters zugegen waren, hat zwischen Ihnen und mir noch nicht die geringsten verwandtschaftlichen Bande geschaffen. Dagegen bin ich fest davon überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroische Unternehmen der Gräfin Geschwitz nicht zugute gekommen wäre, heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinnstein lägen.

Rodrigo Und wissen Sie, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie das Käseblatt, das Ihr Vater redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten? – Sie hätten sich mit dem ausgemergeltsten Ballettmädchen zusammengetan und wären heute Stallknecht im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? – Sie haben ein Schauerdrama geschrieben, in dem die Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren sind und das kein anständiges Theater zur Aufführung bringt. Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf diesem Brustkasten noch vor zwei Jahren zwei gesattelte Kavalleriepferde balanciert. Wie das jetzt mit der Plauze werden soll, ist mir allerdings rätselhaft. Die Französinnen bekommen einen schönen Begriff von der deutschen Kunst, wenn sie mir bei jedem Kilo mehr den Schweiß aus den Trikots tröpfeln sehen. Ich werde den ganzen Zuschauerraum verpesten mit meiner Ausdünstung.

Alwa Sie sind ein Waschlappen.

Rodrigo Wollte Gott, Sie hätten recht! Oder wollten Sie mich vielleicht beleidigen? – Dann setze ich Ihnen die Fußspitze unter die Kinnlade, daß Ihnen Ihre Zunge an der Tapete spazierengeht.

Alwa Versuchen Sie das doch!

Tritte und Stimmen werden von außen hörbar.

Alwa Was ist das ...?

Rodrigo Es ist ein Glück für Sie, daß wir hier kein Publikum haben.

Alwa Wer kann das sein?

Rodrigo Das ist meine Geliebte! Seit einem vollen Jahre haben wir uns jetzt nicht mehr gesehen.

Alwa Wie wollten denn die schon zurück sein! – Wer mag da kommen! – Ich erwarte niemanden.

Rodrigo Zum Henker, so schließen Sie doch auf!

Alwa Verstecken Sie sich!

Rodrigo Ich stelle mich hinter die Portière. Da habe ich vor einem Jahr auch schon einmal gestanden.

Rodrigo verschwindet hinter der Portière rechts vorn. Alwa öffnet die Mitteltüre, worauf Alfred Hugenberg, den Hut in der Hand, eintritt.

Alwa Mit wem habe ich ... Sie? – Sind sie nicht ...?

Hugenberg Alfred Hugenberg.

Alwa Was wünschen Sie?

Hugenberg Ich komme von Münsterberg. Ich bin heute morgen geflüchtet.

Alwa Ich bin augenleidend. Ich bin gezwungen, die Jalousien geschlossen zu halten.

Hugenberg Ich brauche Ihre Hilfe, Sie werden sie mir nicht versagen. Ich habe einen Plan vorbereitet. – Hört man uns?

Alwa Wovon sprechen Sie? – Was für einen Plan?

Hugenberg Sind Sie allein?

Alwa Ja. – Was wollten Sie mir mitteilen?

Hugenberg Ich habe zwei Pläne nacheinander wieder fallen lassen. Was ich Ihnen jetzt sage, ist bis auf jeden möglichen Zwischenfall durchgearbeitet. Wenn ich Geld hätte, würde ich Sie nicht ins Vertrauen ziehen. Ich dachte zuerst lange daran – – Wollen Sie mir nicht erlauben, Ihnen meinen Entwurf auseinanderzusetzen?

Alwa Wollen Sie mir bitte sagen, wovon Sie denn eigentlich sprechen?

Hugenberg Die Frau kann Ihnen unmöglich so gleichgültig sein, daß ich Ihnen das sagen muß. Was Sie vor dem Untersuchungsrichter zu Protokoll gaben, hat ihr mehr genützt als alles, was der Verteidiger sagte.

Alwa Ich verbitte mir eine derartige Unterstellung.

Hugenberg Das sagen Sie so; das verstehe ich natürlich. Aber Sie waren doch ihr bester Entlastungszeuge.

Alwa Sie waren der! Sie sagten, mein Vater habe sie zwingen wollen, sich selbst zu erschießen.

Hugenberg Das wollte er auch. Aber man glaubte mir nicht; ich wurde nicht vereidigt.

Alwa Wo kommen Sie jetzt her?

Hugenberg Aus einer Besserungsanstalt, aus der ich heute morgen ausgebrochen bin.

Alwa Und was beabsichtigen Sie?

Hugenberg Ich erschleiche mir das Vertrauen eines Gefängnisschließers.

Alwa Wovon wollen sie denn leben?

Hugenberg Ich wohne bei einer Prostituierten, die ein Kind von meinem Vater hat.

Alwa Wer ist Ihr Vater?

Hugenberg Er ist Polizeidirektor. Ich kenne das Gefängnis, ohne daß ich jemals drin war; und mich wird, so wie ich jetzt bin, kein Aufseher erkennen. Aber darauf rechne ich gar nicht. Ich weiß eine eiserne Leiter, von der man vom ersten Hof aus aufs Dach und durch eine Dachluke unter den Dachboden gelangt. Vom Innern aus führt kein Weg dorthin. Aber in allen fünf Flügeln liegen Bretter und Latten unter den Dächern und großen Haufen Späne. Ich schleppe die Bretter und Latten und Späne an fünf Ende zusammen und zünde sie an. Ich habe alle Taschen voll Zündmaterial, wie es zum Feuermachen gebraucht wird.

Alwa Dann verbrennen Sie doch!

Hugenberg Natürlich, wenn ich nicht gerettet werde. Aber um in den ersten Hof zu kommen, muß ich den Schließer in meiner Gewalt haben, und dazu brauche ich Geld. Nicht daß ich ihn bestechen will; das würde nicht gelingen. Ich muß ihm das Geld vorher leihen, damit er seine drei Kinder in die Sommerfrische schicken kann. Dann drücke ich mich morgens um vier, wenn die Sträflinge aus geachteten Familien entlassen werden, zur Tür hinein. Er schließt hinter mir ab. Er fragt mich, was ich vorhabe; ich bitte ihn, mich am Abend wieder herauszulassen. Und eh’ es hell wird, bin ich unter dem Dachboden.

Alwa Wie sind Sie aus der Besserungsanstalt entkommen?

Hugenberg Ich bin zum Fenster hinausgesprungen. Ich brauche zweihundert Mark, damit der Kerl seine Familie in die Sommerfrische schicken kann.

Rodrigo aus der Portière tretend Wünschen der Herr Baron den Kaffee im Musikzimmer oder auf der Veranda serviert?

Hugenberg Wo kommt der Mensch her?! – Aus derselben Türe! – Er sprang aus derselben Türe heraus!

Alwa Ich habe ihn in Dienst genommen. Er ist zuverlässig.

Hugenberg sich an die Schläfen greifend Ich Dummkopf! – Ich Dummkopf!

Rodrigo Ja, ja, wir haben uns hier schon gesehen! Scheren Sie sich zu Ihrer Frau Vize-Mama! Ihr Brüderchen möchte seinen Geschwistern gerne Onkel werden. Machen Sie Ihren Herrn Papa zum Großvater seiner Kinder. Sie haben uns gefehlt! Wenn Sie mir in den nächsten vierzehn Tagen noch einmal unter die Augen kommen, dann schlage ich Ihnen den Kürbis zu Brei zusammen.

Alwa Seien Sie doch ruhig!

Hugenberg Ich Dummkopf!

Rodrigo Was wollen Sie mir Ihren Baumaterialien! – Wissen Sie denn nicht, daß die Frau seit drei Wochen tot ist?

Hugenberg Hat man ihr den Kopf abgeschlagen?

Rodrigo Nein, den hat sie noch. Sie ist an der Cholera krepiert.

Hugenberg Das ist nicht wahr.

Rodrigo Was wollen Sie denn wissen! – Da, lesen Sie; hier! Zieht ein Zeitungsblatt hervor und deutet auf eine Notiz darin ªDie Mörderin des Dr. Schön ...´ Gibt das Blatt an Hugenberg.

Hugenberg liest ªDie Mörderin des Dr. Schön ist im Gefängnis auf unbegreifliche Weise an der Cholera erkrankt.´ – Da steht nicht, daß sie gestorben ist.

Rodrigo Was will sie denn sonst getan haben? Sie liegt seit drei Wochen auf dem Kirchhof. In der Ecke links hinten, hinter den Müllhaufen, wo die kleinen Kreuze sind, an denen keine Name steht, da liegt sie unter dem ersten. Sie erkennen den Platz daran, daß kein Gras darauf wächst. Hängen Sie einen Blechkranz hin, und dann machen Sie, daß Sie wieder in Ihre Kinderbewahranstalt kommen, sonst denunziere ich Sie bei der Polizei. Ich kenne das Frauenzimmer, das sich durch Sie ihre Mußestunden versüßen läßt.

Hugenberg Ist es wahr, daß sie tot ist?

Alwa Gott sei Dank, ja! – Ich bitte Sie, mich nicht länger in Anspruch zu nehmen. Mein Arzt verbietet mir, Besuche zu empfangen.

Hugenberg Meine Zukunft ist so wenig mehr wert! Ich hätte das letzte bißchen, daß mir das Leben noch gilt, gerne an Ihr Glück hingegeben. Pfeif drauf! Auf irgendeine Art werde ich nun doch wohl zum Teufel gehen!

Rodrigo Wenn Sie sich unterstehen und mir oder dem Herrn Doktor hier oder meinem ehrenwerten Freund Schigolch noch in irgendwelcher Weise zu nahe treten, dann verklage ich Sie wegen beabsichtigter Brandstifterei. Ihnen tun drei Jahre Zuchthaus not, damit Sie wissen, wo Ihre Finger nicht hingehören. – Und jetzt hinaus!

Hugenberg Ich Dummkopf!

Rodrigo Hinaus Wirft Hugenberg zur Tür hinaus. Nach vorne kommend Nimmt mich wunder, daß Sie dem Lümmel nicht auch Ihr Portemonnaie zur Verfügung gestellt haben.

Alwa Ich verbitte mir Ihre Unflätigkeiten! Der Junge ist im kleinen Finger mehr wert als Sie!

Rodrigo Ich habe an dieser Geschwitz schon Genossenschaft genug. Soll meine Braut eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung werden, dann mag ein anderer vorangehen. Ich gedenke die pompöseste Luftgymnastikerin aus ihr zu machen und setze deshalb gerne meine Gesundheit aufs Spiel. Aber dann bin ich Herr im Hause und bezeichne selber die Kavaliere, die sie bei sich zu empfangen hat.

Alwa Der Junge hat das, was unserem Zeitalter fehlt. Er ist eine Heldennatur. Er geht deshalb natürlich zugrunde. Erinnern Sie sich, wie er vor Verkündigung des Urteils aus der Zeugenbank sprang und dem Vorsitzenden zurief: ªWoher wollen Sie wissen, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie sich als zehnjähriges Kind die Nächte barfuß hätten in den Cafés herumtreiben müssen?!´

Rodrigo Hätte ich ihm nur gleich eine dafür in die Fresse hauen können! – Gottlob gibt es Zwangserziehungsanstalten, in denen man solchem Pack Respekt vor dem Gesetz einflößt.

Alwa Er wäre so einer, der mir in meinem ªWeltbeherrscher´ Modell stehen könnte. Seit zwanzig Jahren bringt die dramatische Literatur nichts als Halbmenschen zustande; Männer, die keine Kinder machen, und Weiber, die keine gebären können. Das nennt man ªmodernes Problem´. Wenn ich bedenke, mit welch traurigen Jammergestalten sich mein Jugendfreund die Ehre erkämpft hat, der größte deutsche Dichter zu sein, dann wird es mir schwer, ihn um seinen Lorbeer zu beneiden. Seine Helden begehen Selbstmord, weil sie im Lauf von fünf Akten nicht bis drei zählen lernen. Und dafür begeistert sich ein in Gummiwäsche und Jägerhemden gekleidetes, vor Schmutz starrendes Publikum von Klavierlehrerinnen, das an Häßlichkeit jeden Kehrrichthaufen überbietet, der sich an den Hinterpforten eines Palastes aufstaut. Ich müßte nicht unter Exemplaren, wie es mein Vater und seine zweite Frau waren, groß geworden sein, wenn ich ihm seinen Lorbeer nicht sachte vom Haupte nehme.

Rodrigo Ich habe mir eine zwei Zoll dicke Nilpferdpeitsche bestellt. Wenn die keinen Sukzeß hat, dann will ich Kartoffelsuppe im Hirnkasten haben. Ist es Liebe oder sind es Prügel, danach fragt kein Weiberfleisch; hat es nur Unterhaltung, dann bleibt es stramm und frisch. Sie steht jetzt im zwanzigsten Jahr, war dreimal verheiratet, hat eine kolossale Menge Liebhaber befriedigt, da melden sich auch schließlich die Herzensbedürfnisse. Aber dem Kerl müssen die sieben Todsünden auf der Stirn geschrieben stehen, sonst verehrt sie ihn nicht. Wenn der Mensch so aussieht, als hätte ihn ein Hundefänger auf die Straße gespuckt, dann hat er bei solchen Frauenspersonen keinen Prinz zu fürchten. Ich miete eine Remise an der Rue Lafontaine; da wird sie dressiert; und hat sie den ersten Tauchersprung exekutiert, ohne den Hals zu brechen, dann ziehe ich meinen schwarzen Frack an und rühre bis an mein Lebensende keinen Finger mehr. Bei ihrer praktischen Erziehung kostet es die Frau nicht halb so viel Mühe, ihren Mann zu ernähren, wie umgekehrt. Wenn ihr der Mann nur die geistige Arbeit besorgt und den Familiensinn nicht in die Puppen gehen läßt.

Alwa Ich habe die Menschheit beherrschen und als eingefahrenen Viererzug vor mir im Zügel führen gelernt – aber der Junge will mir nicht aus dem Kopf. Ich kann bei diesem Gymnasiasten wirklich noch Privatunterricht in der Weltverachtung nehmen.

Rodrigo Sie soll sich das Fell getrost mir Tausendmarkscheinen tapezieren lassen! Den Direktoren zapfe ich die Gagen mit der Zentrifugalpumpe ab. Ich kenne die Bande. Brauchen sie einen nicht, dann darf man ihnen die Stiefel putzen, und wenn sie eine Künstlerin nötig haben, dann schneiden sie sie mit den verbindlichsten Komplimenten eigenhändig vom lichten Galgen herunter.

Alwa In meinen Verhältnissen habe ich außer dem Tod nichts mehr in dieser Welt zu fürchten – im Reich der Empfindungen bin ich der ärmste Bettler! Aber ich bringe den moralischen Mut nicht mehr auf, meine befestigte Position gegen die Aufregungen des wilden Abenteurerlebens einzutauschen.

Rodrigo Sie hatte Papa Schigolch und mich zusammen auf den Strich geschickt, damit wir ihr ein kräftiges Mittel gegen Schlaflosigkeit aufstöbern. Jeder bekam ein Zwanzigmarkstück für Reiseunkosten. Da sehen wir den Jungen im Café ªNachtlicht´ sitzen. Er saß wie ein Verbrecher auf der Anklagebank. Schigolch beroch ihn von allen Seiten und sagte: ªDer ist noch Jungfrau.´

Oben auf der Galerie werden schleppende Schritte hörbar.

Rodrigo Da ist sie! – Die zukünftige pompöseste Luftgymnastikerin der Jetztzeit!

Über der Treppe teilt sich der Vorhang, und Lulu, im schwarzen Kleid, auf Schigolchs Arm gestützt, schleppt sich langsam die Treppe herunter.

Schigolch Hü, alter Schimmel! Wir müssen heute noch nach Paris.

Rodrigo Lulu mit blöden Augen anglotzend Himmel, Tod und Wolkenbruch!

Lulu Langsam! Du klemmst mir den Arm ein!

Rodrigo Woher nimmst du die Schamlosigkeit, mit einem solchen Wolfsgesicht aus dem Gefängnis auszubrechen?!

Schigolch Halt die Schnauze!

Rodrigo Ich laufe nach der Polizei! Ich mache Anzeige! Diese Vogelscheuche will sich in Paris in Trikots sehen lassen. Da kosten schon die Wattons zwei Monatsgagen. – Du bist die perfideste Hochstaplerin, die je im Hotel ªOchsenbutter´ Logis bezogen hat!

Alwa Ich bitte Sie, die Frau nicht zu beschimpfen!

Rodrigo Beschimpfen nennen sie das?! – Ich habe mir dieser abgenagten Knochen wegen meinen Wanst angefressen! Ich bin erwerbsunfähig! Ich will ein Hanswurst sein, wenn ich noch einen Besenstil hochstemmen kann! Aber mich soll hier auf dem Platze der Blitz erschlagen, wenn ich mir nicht eine Lebensrente von zehntausend Mark jährlich aus Ihren Gemeinheiten herausknoble! Das kann ich Ihnen sagen! Glückliche Reise! Ich laufe nach der Polizei! – Ab!

Schigolch Lauf, lauf!

Lulu Der wird sich hüten!

Schigolch Den sind wir los. – Und jetzt schwarzen Kaffee für die Dame!

Alwa am Tisch links vorn Hier ist Kaffee; man braucht nur einzuschenken.

Schigolch Ich muß noch die Schlafwagenbillette besorgen.

Lulu O Freiheit! Herrgott im Himmel!!

Schigolch In einer halben Stunde hol’ ich dich. Abschied feiern wir im Bahnhofrestaurant. Ich bestelle ein Souper, das bis Paris vorhält. – Guten Morgen, Herr Doktor!

Alwa Guten Abend!

Schigolch Angenehme Ruhe! – Danke, ich kenne hier jede Türklinke. Auf Wiedersehen! Viel Vergnügen! – Durch die Mitteltüre ab.

Lulu Ich habe seit anderthalb Jahren kein Zimmer gesehen – Gardinen, Sessel, Bilder ...

Alwa Willst du nicht trinken?

Lulu Ich habe seit fünf Tagen schwarzen Kaffee genug geschluckt. Hast du keinen Schnaps?

Alwa Ich habe Elixir de Spa.

Lulu Das erinnert an alte Zeiten. Sieht sich, während Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um Wo ist denn mein Bild?

Alwa Das habe ich in meinem Zimmer, damit man es hier nicht sieht.

Lulu Hol doch das Bild her.

Alwa Hast du deine Eitelkeit auch im Gefängnis nicht verloren?

Lulu Wie angstvoll einem ums Herz wird, wenn man monatelang sich selbst nicht mehr gesehen hat! Dann bekam ich eine nagelneue Kehrrichtschaufel. Wenn ich morgens um sieben ausfegte, hielt ich sie mir mit der Rückseite vors Gesicht. Das Blech schmeichelt nicht, aber ich hatte doch meine Freude. – Hol das Bild aus deinem Zimmer. Soll ich mitkommen?

Alwa Um Gottes willen, du mußt dich schonen!

Lulu Ich habe mich jetzt lang genug geschont.

Alwa geht durch die Türe rechts ab, um das Bild zu holen.

Lulu allein Er ist herzleidend; aber sich vierzehn Monate mit der Einbildung plagen müssen – wer erträgt das! Er küßt mit Todesbangen, und seine beiden Knie schlottern wie bei einem ausgefrorenen Handwerksburschen. Aber in Gottes Namen! – – Hätte ich in diesem Zimmer nur seinen Vater nicht in den Rücken geschossen!

Alwa kommt zurück mit Lulus Bild im Pierrotkostüm Es ist ganz verstaubt. Ich hatte es mit der Vorderseite gegen den Kamin gelehnt.

Lulu Du hast es nicht angesehen, während ich fort war?

Alwa Ich hatte infolge des Verkaufs unserer Zeitung so viel geschäftliche Dinge zu erledigen. Die Geschwitz würde es gerne bei sich in ihrer Wohnung aufgehängt haben, aber sie hatte Haussuchungen zu gewärtigen. Er hebt das Bild auf die Staffelei.

Lulu Nun lernt das arme Ungeheuer das Freudenleben im Hotel ªOchsenbutter´ auch aus eigener Erfahrung kennen.

Alwa Ich begreife noch jetzt nicht, wie die Ereignisse eigentlich zusammenhängen.

Lulu Sie war als Diakonissin nach Hamburg gereist und hatte die Unterwäsche einer Cholerakranken nach deren Tod gegen ihre eigene gewechselt. Sie schickte sie mir, als sie zurück war. Wir verständigten uns durch Briefe, in denen immer nur das letzte Wort auf jeder Seite galt. Ich wurde ins Lazarett transportiert und lag schon nach zwei Tagen mit ihr zusammen in der Isolierbaracke. Da machte sie sich mir in allem so ähnlich wie möglich und wurde dann als geheilt entlassen. Heute kam sie noch einmal, um mich zu besuchen. Jetzt liegt sie dort als die Mörderin des Doktor Schön.

Alwa Mit dem Bilde kannst du es, soweit es die äußere Erscheinung betrifft, immer noch aufnehmen.

Lulu Im Gesicht bin ich etwas schmal, aber sonst habe ich nichts verloren. Man wird nur unglaublich nervös im Gefängnis.

Alwa Du sahst schrecklich elend aus, als du hereinkamst.

Lulu Das mußte ich, um uns den Springfritzen vom Halse zu schaffen. – Und du, was hast du in den anderthalb Jahren getan?

Alwa Ich hatte mit einem Stück, das ich über dich geschrieben, einen Achtungserfolg in der literarischen Gesellschaft.

Lulu Wer ist dein Schatz?

Alwa Eine Schauspielerin, der ich eine Wohnung in der Karlstraße gemietet habe.

Lulu Liebt sie dich?

Alwa Wie soll ich das wissen! Ich habe die Frau seit sechs Wochen nicht gesehen.

Lulu Erträgst du das?

Alwa Das wirst du nie begreifen. Bei mir besteht die intimste Wechselwirkung zwischen meiner Sinnlichkeit und meinem geistigen Schaffen. So z. B. bleibt mir dir gegenüber nur die Wahl, dich künstlerisch zu gestalten oder dich zu lieben.

Lulu Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich sei einem Lustmörder unter die Hände geraten. Komm, gib mir einen Kuß!

Alwa In deinen Augen schimmert es wie ein Wasserspiegel in einem tiefen Brunnen, in den man einen Stein geworfen hat.

Lulu Komm!

Alwa küßt sie Deine Lippen sind allerdings etwas schmal geworden.

Lulu Komm! Sie drängt ihn in einen Sessel und setzt sich ihm aufs Knie Graut dir vor mir? – Im Hotel ªOchsenbutter´ bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes Bad. Die Aufseherinnen benutzten dann die Gelegenheit, um uns, sobald wir im Wasser waren, die Taschen zu durchsuchen.

Alwa Oh, oh!

Lulu Du fürchtest, du könntest, wenn ich fort bin, kein Gedicht mehr über mich machen?

Alwa Im Gegenteil, ich werde einen Dithyrambus über deine Herrlichkeit schreiben.

Lulu Ich ärgere mich nur über das scheußliche Schuhwerk, das ich trage.

Alwa Das beeinträchtigt deine Reize nicht. Laß uns der Gunst des Augenblicks dankbar sein.

Lulu Mir ist heute gar nicht danach zumut. – Erinnerst du dich des Kostümballs, auf dem ich als Knappe gekleidet war? Wie mir damals die betrunkenen Frauen nachrannten! Die Geschwitz kroch mir um die Füße herum und bat mich, ich möchte ihr mit meinen Zeugschuhen ins Gesicht treten.

Alwa Komm, süßes Herz!

Lulu Ruhig; ich habe deinen Vater erschossen.

Alwa Deswegen liebe ich dich nicht weniger. Einen Kuß!

Lulu Beug den Kopf zurück.

Alwa Du hältst meine Seelenglut durch die geschicktesten Künste zurück. Dabei atmet deine Brust so keusch. Und trotzdem, wenn deine beiden großen dunklen Kinderaugen nicht wären, müßte ich dich für die abgefeimteste Dirne halten, die je einen Mann ins Verderben gestürzt hat.

Lulu Wollte Gott, ich wäre das! Komm heute mit nach Paris. Dort können wir uns sehen, so oft wir wollen, und werden mehr Vergnügen als jetzt aneinander haben.

Alwa Durch dieses Kleid empfinde ich deinen Wuchs wie eine Symphonie. Diese schmalen Knöchel, dieses Cantabile; dieses entzückende Anschwellen; und diese Knie, dieses Capriccio; und das gewaltige Andante der Wollust. – Wie friedlich sich die beiden schlanken Rivalen in dem Bewußtsein aneinanderschmiegen, daß keiner dem andern an Schönheit gleichkommt – bis die launische Gebieterin erwacht und die beiden Nebenbuhler wie zwei feindliche Pole auseinanderweichen! Ich werde dein Lob singen, daß dir die Sinne vergehn!

Lulu Derweil vergrabe ich meine Hände in deinem Haar. Aber hier stört man uns.

Alwa Du hast mich um meinen Verstand gebracht!

Lulu Kommst du nicht mit nach Paris?

Alwa Der Alte fährt doch mit dir!

Lulu Der kommt nicht mehr zum Vorschein. – Ist das noch der Diwan, auf dem sich dein Vater verblutet hat?

Alwa Schweig – Schweig ...

 

ZWEITER AUFZUG

Paris: Ein geräumiger Salon in weißer Stukkatur mit breiter Flügeltür in der Hinterwand. Zu beiden Seiten derselbe hohe Spiegel. In beiden Seitenwänden je zwei Türen; dazwischen rechts eine Rokokokonsole mit weißer Marmorplatte, darüber Lulus Bild als Pierrot in schmalem Goldrahmen in der Wand eingelassen. In der Mitte des Salons ein schmächtiges, hellgepolstertes Sofa Louis XV. Breite hellgepolsterte Fauteuils mit dünnen Beinen und schmächtigen Armlehnen. Links vorn ein kleiner Tisch. Die Mitteltür steht offen und läßt im Hinterzimmer einen breiten Bakkarattisch, von türkischen Polstersesseln umstellt, sehen.

Alwa Schön, Rodrigo Quast, der Marquis Casti-Piani, Bankier Puntschu, Journalist Heilmann, Lulu, die Gräfin Geschwitz, Madelaine de Marelle, Kadéga di Santa Croce, Bianetta Gazil, Ludmilla Steinherz bewegen sich im Salon in lebhafter Konversation.

Die Herren sind in Gesellschaftstoilette. – Lulu trägt eine weiße Directoirerobe mit mächtigen Puffärmeln und einer vom oberen Taillensaum frei auf die Füße fallenden weißen Spitze; die Arme in weißen Glacés, das Haar hochfrisiert mit einem kleinen weißen Federbusch. – Die Geschwitz in hellblauer, mit weißem Pelz verbrämter, mit Silberborten verschnürter Husarentaille. Weißer Schlips, enger Stehkragen und steife Manschetten mit riesigen Elfenbeinknöpfen. – Madelaine de Marelle in hellem regenbogenfarbigen Changeantkleid mit sehr breiten Ärmeln, langer schmaler Taille und drei Volants aus spiralförmig gewundenen Rosabändern und Veilchenbuketts. Das Haar in der Mitte gescheitelt, tief über die Schläfen fallen, an den Seiten gelockt. Auf der Stirn ein Perlmutterschmuck, von einer feinen, unter das Haar gezogenen Kette gehalten. – Kadéga die Santa Croce, ihre Tochter, zwölf Jahre alt, in hellgrünen Atlasstiefeletten, die den Saum der weißseidenen Socken freilassen; der Oberkörper in weißen Spitzen; hellgrüne, enganliegende Ärmel; perlgraue Glacés; offnes schwarzes Haar unter einem großen hellgrünen Spitzenhut mit weißen Federn. – Bianetta Gazil in dunkelgrünem Samt; perlenbesetzter Göller, Blusenärmel, faltenreicher Rock ohne Taille, der untere Saum mit großen, in Silber gefaßten falschen Topasen gesetzt. – Ludmilla Steinherz in einer grellen, blau und rot gestreiften Seebadtoilette. – Armande und Bob reichen Champagner. – Armande in knappem schwarzen Kleid, rechtwinklig ausgeschnitten, mit weißem Fichu Maria Antoinette. – Bob, vierzehn Jahre alt, in rotem Jackett, prallen Lederhosen und blinkenden Stulpstiefeln.

Rodrigo das volle Glas in der Hand! Mesdames et Messieurs – excusez – Mesdames et Messieurs – vous me permettez – soyez tranquilles – c’est le – zu Ludmilla Steinherz Was heißt Geburtstagsfest?

Ludmilla Steinherz L’anniversaire!

Rodrigo Heißen Dank. C’est le – c’est l’anniversaire de notre bien aimable hôtesse – comtesse, qui nous a réuni ici – ce soir. Permettez, Mesdames et Messieurs – c’est à la santé de la comtesse Adélaïde d’Oubra – Verdammt und zugenäht! – que je bois, à la santé de notre bien aimable hôtesse, la comtesse Adélaïde – dont c’est aujourd’hui l’anniversaire … Alle umringen Lulu und stoßen mit ihr an.

Alwa zu Rodrigo Ich gratuliere dir.

Rodrigo Ich schwitze von oben bis unten. – Il vous faut bien m’excuser que je ne parle pas mieux le Français parce que je ne suis pas Parisien.

Bianetta Gazil De quel pays êtes-vous?

Rodrigo Je suis Autrichien.

Bianetta Gazil Vous maniez les poids, Monsieur?

Rodrigo Parfaitement, Madame.

Madelaine de Marelle Moi, en général, je n’aime pas les athlètes. E préfère les tireurs. Il y avait un tireur, il y a quinze mois, au Casino, chaque fois, qu’il faisait boum, moi je faisais … Sie zuckt mit dem Leib.

Casti-Piani Dites donc, chère belle, comment se fait-il que ce soit la première fois qu’on ait le plaisir de rencontrer votre charmante petite princesse?

Madelaine de Marelle Vous la trouvez tellement charmante? – Elle vit dans son convent. Elle n’est à Paris que pur vingt-quatre heures. Elle rentrera demain soir.

Kadéga di Santa Croce Tu dis, petite mère?

Madelaine de Marelle Mon bijoux – je viens de raconter à ces messieurs que l’autre semaine tu as eu le premier prix de géométrie.

Heilmann Quels jolis cheveux elle a!

Casti-Piani Regardez ces pieds! Cette manière de marcher! –

Puntschu Certes, elle est de râce!

Madelaine de Marelle Ayez donc, pitié, Messieurs! Elle est encore tellement enfant.

Puntschu Voilà ce qui ne me gênerait pas! Je donnerais dix ans de ma vie si je pouvais introduire mademoiselle dans les grands mystères de notre évangile.

Madelaine de Marelle Eh bien, Monsieur, je ne consentirais pas pour un million. Je ne veux pas lui gâter son heureuse enfance comme on a gâté la mienne.

Casti-Piani Belle âme! Vous n’y consentiriez pas non plus pour une petite parure en vrais diamants ?

Madelaine de Marelle Pas de blagues! Vous ne m’achèterez pas de vrais diamants ni à ma fille. Vous n’en êtes que trop sûr.

Ludmilla Steinherz zur Gräfin Geschwitz Die Pariser Malerschulen, wissen Sie, sind alle gut. Dafür sind wir schließlich in Paris. Ich rate Ihnen zu Julian. Wenn Sie in die Passage Panorama eintreten, der erste Seitengang links. Da sehen Sie dann gleich mit großen Buchstaben angeschrieben ªEcole Julian´.

Die Geschwitz Ich weiß noch nicht, ob ich in eine Schule gehen werde. Es nimmt so viel Zeit weg.

Bianetta Gazil Est-ce qu’on ne joue pas ce soir?

Ludmilla Steinherz Mais si, Madame, on jouera ; je l’espère bien!

Bianetta Gazil Allons donc prendre nos places. Je voudrais gagner.

Die Geschwitz Une petite seconde, Mesdames; j’ai à dire deux mots à mon amie.

Casti-Piani der Gazil den Arm bietend Madame – vous m’accorderez la faveur d’être de moitié avec nous. Vous avez la main si heureuse. Er führt sie ins Spielzimmer, Ludmilla Steinherz folgt ihnen.

Rodrigo Au déjeûner, ce matin, la servante me demande: ªDésirez-vous du pissenlit, Monsieur?´

Heilmann Eh bien, mon cher; qu’est-ce que vous lui avez répondu?

Rodrigo Je disais: ªMerci, ma belle; je n’en ai pas l’habitude.´

Lulu Ce qu’il est bête!

Madelaine de Marelle Vous faites de l’esprit, Monsieur.

Puntschu Ce serait à peu près, comme si vous me demandiez des actions de la Société du Funiculaire de la Jung-Frau et si je vous répondais, moi: ªElle ne l’est plus maintenant!´

Madelaine de Marelle Je ne comprends pas, Monsieur.

Puntschu Parce que vous ne savez pas l’Allemand, Madame. Jung-Frau, c’est un mot allemand, qui veut dire Vierge.

Madelaine de Marelle Est-ce que vous en avez encore, de ces actions là?

Puntschu J’en ai quelques milles, moi ; mais je les garde. Il n’y aura guère d’occasion semblable pour se faire une petite fortune.

Heilmann Moi, je n’en ai qu’une seul jusqu’à present. Je voudrais en avoir d’autres.

Puntschu Si vous voulez, Monsieur, j’essayerai de vous les procurer. Mais je vous en Préviens, vous les payerez des prix exorbitants.

Madelaine de Marelle J’ai eu de la chance, moi, dans cette affaire. Je m’y sus prise de bonne heure. J’y ai mis toutes mes économies. – Si ça ne réussit pas, gare à vous!

Puntschu Je suis tout-à-fait sur de moi. Un jour, Madame, vous me baiserez les mains. Vous ferez un petit pélérinage en Suisse, avec Mademoiselle votre fille, vous monterez avec ce Funiculaire et vous bénirez du haut de la montagne ce pays fertile, la source de vos richesses.

Alwa Bous n’avez rien à craindre, Madame. Moi aussi, j’y ai engagé ma fortune jusqu’au dernier sou. Je les ai payées fort cher, mes actions, mais je ne le regrette pas. Elles montent d’un jour à l’autre; c’est extraordinaire.

Madelaine de Marelle Eh bien, tant mieux. Seinen Arm nehmend Allons au jeu!

Madelaine de Marelle, Alwa, Puntschu, Lulu, Heilmann und Kadéga gehen ins Spielzimmer. Armande und Bob nach links ab. – Rodrigo und die Gräfin Geschwitz bleiben zurück.

Rodrigo kritzelt etwas auf einen Zettel und faltet denselben zusammen; die Geschwitz bemerkend Hm, gräfliche Gnaden ... Da die Geschwitz zusammenzuckt Seh’ ich denn so gefährlich aus? für sich Ich muß ein Bonmot machen. Laut Darf ich mir vielleicht etwas herausnehmen?

Die Geschwitz Scheren Sie sich zum Henker!

Casti-Piani Lulu in den Salon führend Sie erlauben mir nur zwei Worte.

Lulu während ihr Rodrigo unbemerkt einen Zettel in die Hand drückt Bitte, soviel Sie wollen.

Rodrigo Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen. Ins Spielzimmer ab.

Casti-Piani zur Geschwitz Lassen Sie uns allein!

Lulu zu Casti-Piani Habe ich Sie wieder durch irgend etwas gekränkt?

Casti-Piani da sich die Geschwitz nicht vom Fleck rührt Sind Sie taub?

Die Geschwitz geht tief aufseufzend ins Spielzimmer ab.

Lulu Sag es nur gleich heraus, wieviel du haben willst.

Casti-Piani Mit Geld kannst du mir nicht mehr dienen.

Lulu Wie kommst du auf den Gedanken, daß wir kein Geld mehr haben?

Casti-Piani Weil du mir gestern euren letzten Rest ausgehändigt hast.

Lulu Wenn du dessen sicher bist, wird es ja wohl so sein.

Casti-Piani Ihr seid auf dem trocknen, du und dein Schriftsteller.

Lulu Wozu denn die vielen Worte? – Wenn du mich bei dir haben willst, brauchst du mir nicht erst mit dem Henkerbeil zu drohen.

Casti-Piani Das weiß ich. Ich habe dir aber schon mehrmals gesagt, daß du gar nicht mein Fall bist. Ich habe dich nicht ausgeraubt, weil du mich liebtest, sondern ich habe dich geliebt, um dich ausrauben zu können. Bianetta ist mir von oben bis unten angenehmer als du. Du stellst die ausgesuchtesten Leckerbissen zusammen, und wenn man seine Zeit verplempert hat, ist man hungriger als vorher. Du liebst schon zu lang, auch für unsere Pariser Verhältnisse. Einem gesunden jungen Menschen ruinierst du nur das Nervensystem. Um so vorteilhafter eignest du dich für die Stellung, die ich dir ausgesucht habe.

Lulu Du bist verrückt! – Habe ich dich gebeten, mir eine Stellung zu verschaffen?

Casti-Piani Ich sagte dir doch, daß ich Stellenvermittlungsagent bin.

Lulu Du sagtest mir, du seiest ein Polizeispion.

Casti-Piani Davon kann man nicht leben. Ursprünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich über ein Pfarrerstöchterchen stolperte, dem ich eine Stellung in Val Paraiso verschafft hatte. Das Holdchen hatte sich in seinen kindlichen Träumen das Leben noch berauschender vorgestellt und beklagt sich bei Mama. Darauf wurde ich festgesetzt. Durch charaktervolles Benehmen gewann ich mir aber rasch das Vertrauen der Kriminalpolizei. Mit einem Monatswechsel von hundertfünfzig Mark schickte man mich hierher, weil man wegen der ewigen Bombenattentate unser hiesiges Kontingent verdreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfzig Mark im Monat aus? – Meine Kollegen lassen sich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich näher, meinen früheren Beruf wiederaufzunehmen. Die Französin geht, wenn sie das Herz auf dem rechten Fleck hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den unzähligen Abenteuerinnen, die sich hier aus den besten Familien der ganzen Welt zusammenfinden, habe ich schon manches lebenshungrige junge Geschöpf an den Ort seiner natürlichen Bestimmung befördert.

Lulu Ich tauge nicht für diesen Beruf.

Casti-Piani Deine Ansichten über diese Frage sind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwaltschaft bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön der Polizei in die Hand liefert, tausend Mark. Ich brauche nur den Sergeant de ville heraufzupfeifen, der unten an der Ecke steht, dann habe ich tausend Mark verdient. Dagegen bietet das Etablissement Oikonomopulos in Kairo sechzig Pfund für dich. Das sind fünfzehnhundert Francs, das sind zwölfhundert Mark, also zweihundert Mark mehr, als der Staatsanwalt bezahlt. Übrigens bin ich immerhin noch soweit Philanthrop, um meinen Lieben lieber zum Glücke zu verhelfen, als daß ich sie ins Unglück stürze.

Lulu Das Leben in einem solchen Haus kann ein Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich machen. Als ich fünfzehn Jahre alt war, hätte mir das gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen Revolver und lief nachts barfuß durch tiefen Schnee über die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu erschießen. Dann lag ich aber glücklicherweise drei Monate im Spital, ohne einen Mann zu Gesicht zu bekommen. In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf, und ich erkannte mich. In meinen Träumen sah ich Nacht für Nacht den Mann, für den ich geschaffen bin und der für mich geschaffen ist. Und als ich dann wieder auf die Männer losgelassen wurde, da war ich kein dummes Gänschen mehr. Seither sehe ich es jedem bei stockfinsterer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an, ob wir füreinander bestimmt sind. Und wenn ich mich gegen meine Erkenntnis versündige, dann fühle ich mich am nächsten Tage an Leib und Seele beschmutzt und brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde, zu überwinden. Und nun bildest du dir ein, ich werden mich jedem Lumpenkerl hingeben!

Casti-Piani Lumpenkerle verkehren bei Oikonomopulos in Kairo nicht. Seine Kundschaft setzt sich aus schottischen Lords, aus russischen Würdenträgern, indischen Gouverneuren und unseren flotten rheinischen Grosindustriellen zusammen. Ich muß nur dafür garantieren, daß du Französisch sprichst. Bei deinem eminenten Sprachtalent wirst du übrigens auch rasch genug so viel Englisch lernen, wie du zu deiner Tätigkeit nötig hast. Dabei residierst du in einem fürstlich ausgestatteten Appartement mit dem Ausblick auf die Minaretts der El-Azhar-Moschee, wandelst den ganzen Tag auf faustdicken persischen Teppichen, kleidest dich jeden Abend in eine märchenhafte Pariser Balltoilette, trinkst so viel Sekt, wie deine Kunden bezahlen können; und schließlich bleibst du ja auch bis zu einem gewissen Grad deine eigene Herrin. Wenn dir der Mann nicht gefällt, dann brauchst du ihm keinerlei Empfindungen entgegenzubringen. Du läßt ihn seine Karte abgeben, und damit holla! Wenn sich die Luder darauf nicht einübten, dann wäre die ganze Sache überhaupt unmöglich, weil jede nach den ersten vier Wochen mit Sturmschritt zum Teufel ginge.

Lulu Ich glaube wirklich, seit gestern ist in deinem Gehirn irgend etwas nicht mehr, wie es sein soll! Soll ich mir einreden lassen, daß der Ägypter für eine Person, die er gar nicht kennt, fünfzehnhundert Francs bezahlt?

Casti-Piani Ich habe mir erlaubt, ihm deine Bilder zu schicken!

Lulu Die Bilder hast du ihm geschickt, die ich dir gab?

Casti-Piani Du siehst, daß er sie besser zu würdigen weiß als ich. Das Bild, auf dem du als Eva vor dem Spiegel stehst, wird er, wenn du dort bist, wohl unter der Haustür aufhängen. Dann kommt für dich noch eins in Betracht. Bei Oikonomopulos in Kairo bist du vor deinen Henkern sicherer, als wenn du dich in einen kanadischen Urwald verkriechst. Man überführt so leicht keine ägyptische Kurtisane in ein deutsches Gefängnis, erstens schon aus Sparsamkeitsrücksichten und zweitens aus Furcht, man könnte dadurch der ewigen Gerechtigkeit zu nahe treten.

Lulu Was schert mich eure ewige Gerechtigkeit! Du kannst dir an deinen fünf Fingern abzählen, daß ich mich nicht in ein solches Vergnügungslokal sperren lasse.

Casti-Piani Dann erlaubst du, daß ich den Polizisten heraufpfeife.

Lulu Warum bittest du mich nicht einfach um fünfzehnhundert Francs, wenn du das Geld nötig hast?

Casti-Piani Ich habe gar kein Geld nötig! – Übrigens bitte ich dich deshalb nicht darum, weil du auf dem trocknen bist.

Lulu Wir haben noch dreißigtausend Mark.

Casti-Piani In Jungfrau-Aktien! Ich habe mich nie mit Aktien abgegeben. Der Staatsanwalt bezahlt in deutscher Reichswährung, und Oikonomopulos zahlt in englischem Gold. Du kannst morgen früh in Marseille sein. Die Mittelmeerfahrt dauert nicht viel mehr als fünf Tage. In spätestens vierzehn Tagen bist du in Sicherheit. Hier in Paris stehst du dem Gefängnis näher als irgendwo. Es ist ein Wunder, das ich als Polizeiorgan nicht fasse, daß ihr hier ein volles Jahr unbehelligt habt leben können. Aber so gut, wie ich euren Antezedentien auf die Spur kam, kann bei deinem starken Verbrauch an Männern jeden Tag einer meiner Kollegen die glückliche Entdeckung machen. Dann darf ich mir den Mund wischen, und du verbringst deine genußfähigsten Lebensjahre in der Einsamkeit. Willst du dich bitte gleich entscheiden. Um halb ein Uhr fährt der Zug nach Marseille. Sind wir bis elf Uhr nicht handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de ville herauf. Andernfalls packe ich dich, so wie du dastehst, in einen Fiacre, fahre dich nach der Gare de Lyon und begleite dich morgen abend aufs Schiff.

Lulu Das kann dir damit doch unmöglich ernst sein?!

Casti-Piani Begreifst du nicht, daß es mir nur um deine leibliche Rettung zu tun ist?

Lulu Ich gehe mit dir nach Amerika, nach China; aber ich kann mich selbst nicht verkaufen lassen! Das ist schlimmer als Gefängnis.

Casti-Piani Lies einmal diesen Herzenserguß! Er zieht einen Brief aus der Tasche Ich werde ihn dir vorlesen. Hier ist der Poststempel ªKairo´, damit du nicht glaubst, ich arbeite mit gefälschten Dokumenten. Das Mädchen ist Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet, und das mit einem Mann, um den du sie beneidet hättest, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reist jetzt in Diensten einer Hamburger Kolonialgesellschaft.

Lulu munter Dann besucht er seine Frau ja vielleicht gelegentlich.

Casti-Piani Das ist nicht ausgeschlossen. Aber höre diesen impulsiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein Mädchenhandel erscheint mir durchaus nicht ehrenvoller, als ihn der erste beste Richter taxieren würde; aber solch ein Freudenschrei läßt mich für den Augenblick eine gewisse sittliche Genugtuung empfinden. Ich bin stolz darauf, mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit vollen Händen ausstreue. Er liest ªLieber Herr Meier!´ – So heiße ich als Mädchenhändler – ªWenn Sie nach Berlin kommen, gehen Sie bitte sofort in das Konservatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie nach Gusti von Rosenkron – das schönste Weib, das ich je in Natur gesehen habe; entzückende Hände und Füße, von Natur schmale Taille, gerader Rücken, strotzender Körper, große Augen und Stumpfnase – ganz so, wie Sie es bevorzugen. Ich habe ihr schon geschrieben. Mit der Singerei hat sie keine Aussicht. Die Mutter hat keinen Pfennig. Leider schon zweiundzwanzig, aber verschmachtend nach Liebe. Kann nicht heiraten, weil vollkommen mittellos. Habe mit Madame gesprochen. Man nimmt mit Vergnügen noch eine Deutsche, wenn gut erzogen und musikalisch. Italienerinnen und Französinnen können mit uns nicht wetteifern, weil zu wenig Bildung. Wenn Sie Fritz sehen sollten ...´ – Fritz ist der Mann; er läßt sich natürlich scheiden – ª... dann sagen Sie ihm, alles war Langeweile. Er wußte es nicht besser, ich wußte es auch nicht ...´ – Jetzt folgt die Aufzählung ihrer Glückseligkeiten ...

Lulu Ich kann nicht das einzige verkaufen, das je mein eigen war.

Casti-Piani Laß mich doch weiterlesen!

Lulu Ich liefere dir heute abend noch unser ganzes Vermögen aus.

Casti-Piani Glaub mir doch um Gottes willen, daß ich euren letzten Sou schon bekommen habe. Wenn wir nicht bis elf Uhr das Haus verlassen haben, dann transportiert man dich morgens mit deiner Sippschaft per Schub nach Deutschland.

Lulu Du kannst mich nicht ausliefern!

Casti-Piani Meinst du, das wäre das Schlimmste, was ich in meinem Leben gekonnt habe? – Ich muß für den Fall, daß wir heute nacht nach Marseille fahren, nur rasch noch ein Wort mit Bianetta reden.

Casti-Piani geht ins Spielzimmer, die Tür hinter sich auf lassend. Lulu starrt vor sich hin, das Billett, das ihr Rodrigo zusteckte und das sie während des ganzen Gesprächs zwischen den Fingern hielt, mechanisch zerknitternd. Alwa erhebt sich hinter dem Spieltisch, ein Wertpapier in der Hand, und kommt in den Salon.

Alwa zu Lulu Brillant! Es geht brillant! Die Geschwitz setzt eben ihr letztes Hemd. Puntschu hat mir noch zehn Jungfrau-Aktien versprochen. Die Steinherz macht ihre kleinen Profitchen. Er geht nach links vorne ab.

Lulu allein Ich soll in ein Bordell? – – Sie liest den Zettel, den sie in der Hand hält, und lacht wie toll.

Alwa kommt von links zurück, eine Kassette in der Hand Machst du denn nicht mit?

Lulu Gewiß, gewiß. Warum nicht!

Alwa Apropos, im ªBerliner Tageblatt´ steht heute, daß sich der Alfred Hugenberg im Gefängnis aus dem dritten Stockwerk ins Treppenhaus hinuntergestürzt hat.

Lulu Ist denn der auch im Gefängnis?

Alwa Nur in einer Art von Präventivhaft. Gerüchtweise verlautet, sein Vater, der Polizeidirektor, habe, während der Junge beerdigt wurde, Selbstmordversuch gemacht.

Alwa geht ins Spielzimmer ab. Lulu will ihm folgen. In der Tür tritt ihr die Gräfin Geschwitz entgegen.

Die Geschwitz Du gehst, weil ich komme?

Lulu Weiß Gott, nein. Aber wenn du kommst, dann gehe ich.

Die Geschwitz Du hast mich um alles betrogen, was ich an Glücksgütern auf dieser Welt noch besaß. Du könntest in deinem Verkehr mit mir zum allerwenigsten die äußerlichen Anstandsformen wahren.

Lulu Ich bin gegen dich so anständig wie gegen jede andere Frau. Ich bitte dich nur, es auch mir gegenüber zu sein.

Die Geschwitz Hast du die leidenschaftlichen Beteuerungen vergessen, durch die du mich, während wir zusammen im Krankenhaus lagen, dazu verführtest, daß ich mich für dich ins Gefängnis sperren ließ?!

Lulu Wozu hast du mir denn vorher die Cholera angehängt?! Ich habe während des Prozesses noch ganz andere Dinge beschworen, als was ich dir versprechen mußte. Mich schüttelt der Ekel bei dem Gedanken, daß das jemals Wirklichkeit werden sollte!

Die Geschwitz Dann betrogst du mich also mit vollem Bewußtsein?!

Lulu Um was bist du denn betrogen? Deine körperlichen Vorzüge haben hier einen so begeisterten Bewunderer gefunden, daß ich mich frage, ob ich nicht noch einmal Klavierunterricht geben muß, um mein Dasein zu fristen. Kein siebzehnjähriges Kind macht einen Mann liebestoller, als du Ungeheuer den braven Kerl durch deine Widerspenstigkeit machst!

Die Geschwitz Von wem sprichst du? Ich verstehe kein Wort.

Lulu Ich spreche von deinem Kunstturner, von Rodrigo Quast. Er ist Athlet; er balanciert zwei gesattelte Kavalleriepferde auf seinem Brustkasten. Kann sich eine Frau etwas Herrlicheres wünschen? Er sagte mir eben noch, daß er diese Nacht in die Seine springe, wenn du dich seiner nicht erbarmst.

Die Geschwitz Ich beneide dich nicht um diene Geschicklichkeit, die hilflosen Opfer, die dir durch unerforschliche Bestimmung überantwortet sind, zu martern. Ich kann dich überhaupt nicht beneiden. Ein Bedauern, wie ich es mit dir fühle, hat mir mein eigener Jammer noch nicht abgerungen. Ich fühle mich frei wie ein Gott bei dem Gedanken, welcher Kreaturen Sklavin du bist!

Lulu Von wem sprichst du denn?

Die Geschwitz Ich spreche von Casti-Piani, dem die verworfenste Niederträchtigkeit in lebenden Buchstaben auf der Stirn geschrieben steht.

Lulu Schweig! Ich gebe dir Tritte in den Leib, wenn du schlecht von dem Jungen sprichst. Er liebt mich mit einer Aufrichtigkeit, gegen die deine abenteuerlichsten Aufopferungen die reine Bettelei sind. Er gibt mir Beweise von Selbstverleugnung, die mir deine Zumutungen erst in ihrer ganzen Abscheulichkeit zeigen. Was gibt man nicht hin, wenn man Gelüst hat wie du! Du bist im Leib deiner Mutter nicht ganz fertig geworden, weder als Weib noch als Mann. Du bist kein Mensch wie wir anderen. Für einen Mann war der vorhandene Stoff nicht ausreichend, und zum Weib hast du zuviel Hirn in den Schädel bekommen. Deshalb bist du verrückt! Wende dich mit deinen Gefühlen an Fräulein Bianetta Gazil. Die ist gegen Bezahlung zu allem zu haben. Drück ihr zwanzig Francs in die Hand, dann gehört sie dir.

Bianetta Gazil, Madelaine de Marelle, Ludmilla Steinherz, Rodrigo, Casti-Piani, Puntschu, Heilmann und Alwa kommen aus dem Spielzimmer in den Salon.

Lulu Um Gottes willen, was ist passiert?

Puntschu Mais rien du tout, ma chère. On va se rafraîchir.

Madelaine de Marelle Tout le monde a gagné, c’est épatant!

Bianetta Moi, j’ai gagné au moins quarante louis …

Ludmilla Steinherz Il ne faut pas s’en vanter, mon amie!

Madelaine de Marelle C’est vrai; ça ne porte pas bonheur.

Bianetta Gazil Mais la Banque aussi a gagné!

Alwa Es ist pyramidal, wo das Geld herkommt!

Casti-Piani Tant mieux; on n’a pas besoin de se priver de Champagne.

Heilmann J’ai au moins, moi, de quoi me payer un diner au Café de Paris.

Alwa Venez, Mesdames, au buffet!

Die ganze Gesellschaft begibt sich nach rechts ins Spielzimmer. – Lulu wird von Rodrigo zurückgehalten.

Rodrigo Une petite seconde, Madame. – Hast du mein Billetdoux schon gelesen?

Lulu Droh mir mit Anzeigen, soviel du Lust hast! Ich habe keine zwanzigtausend Francs mehr.

Rodrigo Lüg mich nicht an, du Kanaille! Ihr habt noch vierzigtausend Mark; der Lämmerschwanz hat mir das eben noch bestätigt.

Lulu Dann wende dich mit deinen Erpressungen doch an ihn! Mir ist es egal, was er mit seinem Gelde tut.

Rodrigo Ich danke dir! Bei dem Hornochsen brauche ich zweimal vierundzwanzig Stunden, bis er begreift, wovon die Rede ist. Und dann kommen seine Erläuterungen und Auseinandersetzungen, denen gegenüber einem sterbensübel wird. Derweil schreibt mir meine Braut: ªTout est fini entre nous!´, und ich kann den Leierkasten umhängen.

Lulu Hast du dich denn hier in Paris verlobt?

Rodrigo Ich hätte dich wohl erst um Erlaubnis fragen sollen? Was war hier mein Dank dafür, daß ich dich auf Kosten meiner Gesundheit aus dem Gefängnis befreit habe? – La misère noire! Ihr habt mich preisgegeben! Ich hätte Packträger werden können, wenn mich dieses Mädchen nicht aufgenommen hätte. In den Follies-Bergère warf man mir gleich am ersten Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die französische Nation ist zu heruntergekommen, um noch gediegene Kraftleistungen zu würdigen. Wäre ich ein boxendes Känguruh, dann hätten sie mich interviewt und in allen Journalen abgebildet. Gott sei Dank hatte ich auf der Toilette schon die Bekanntschaft meiner Célestine gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand drückte, erklärte sie mir, sie beabsichtige, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Ersparnisse zwanzigjähriger Arbeit auf dem Crédit Lyonnais deponiert. Dabei liebt sie mich um meiner selbst willen. Sie geht nicht wie du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei Kinder von einem englischen Bischof, die alle zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden wir uns auf der Mairie des ersten Arrondissements standesamtlich trauen lassen.

Lulu Meinen Segen hast du dazu.

Rodrigo Meine Célestine verehrt den Gemütsmenschen in mir, und nicht den Kraftmenschen, wie du das getan hast und all die anderen. Das ist jetzt überstanden! Erst rissen sie einem die Kleider vom Leib, und dann wälzten sie sich mit der Femme de chambre herum. Ich will ein Totengerippe sein, wenn ich mich noch jemals auf solche Belustigungen einlasse!

Lulu Warum zum Henker verfolgst du denn die unglückliche Geschwitz mit deinen schmutzigen Anträgen?

Rodrigo Weil das Frauenzimmer von Adel ist. Ich bin Homme du monde und verstehe mich besser als irgendeiner von euch auf den Pariser Konversationston. – Aber jetzt bitte ich um eine bündige Antwort. Wirst du mir bis morgen abend das Geld verschaffen oder nicht?

Lulu Ich habe kein Geld.

Rodrigo Ich will Hühnerdreck im Kopf haben, wenn ich mich damit abspeisen lasse! Er gibt dir den letzten Sou, den er hat, wenn du nur einmal deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit tust und ihn nicht umsonst vor deiner Tür winseln läßt. Du hast den armen Jungen hierher gelockt, und jetzt kann er sehen, wo er ein passendes Engagement für seine Vervollkommnung auftreibt.

Lulu Was schert es dich, ob er das Geld mit Weibern oder am Spieltisch vertut?!

Rodrigo Wollt ihr denn mit Gewalt den letzten Pfennig, den sich sein Vater an der Zeitung verdient hat, diesem wildfremden Pack in den Rachen jagen?! Du machst vier Menschen glücklich, wenn du fünfe grade sein läßt und dich einem wohltätigen Zweck opferst! Muß es denn immer und immer nur Casti-Piani sein!

Lulu Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er dir die Treppe hinunterleuchtet?

Rodrigo Comme vous voulez, ma chère! Wenn ich bis morgen abend die zwanzigtausend Francs nicht habe – du kannst sie auf dem Postbureau an der Avenue de L’Opéra deponieren –, dann erstatte ich Anzeige bei der Polizei, und euer Luderleben hat ein Ende. – Au plaisir de vous revoir!

Journalist Heilmann kommt atemlos von links hinten.

Lulu Sie suchen Madelaine de Marelle? – Sie ist nicht hier.

Heilmann Nein, ich suche etwas anderes.

Rodrigo ihm den Weg weisend Die zweite Tür rechts, bitte.

Lulu zu Rodrigo Hast du das schon von deiner Braut gelernt?

Heilmann stößt in der Tür links auf Bankier Puntschu Pardon, mein Engel.

Puntschu Ach, Sie sind’s! Madame de Marelle erwartet Sie im Lift.

Heilmann Fahren Sie bitte mit ihr hinauf. Ich bin gleich zurück.

Heilmann eilt nach links ab. Lulu geht ins Spielzimmer; Rodrigo folgt ihr.

Puntschu allein Quelle chaleur! – – Schneid’ ich dir die Ohren nicht ab, schneidest du sie mir! – – Muß man sich durchquetschen zwischen Juden, Christen und Sirenen! – – Kann ich nicht vermieten mein Josaphat, muß ich mir helfen mit meinem Verstand! – Wird er nicht runzlig, mein Verstand; wird er nicht avachi; braucht er sich nicht zu baden in Eau de Cologne!

Bob überbringt ein Telegramm.

Bob A Monsieur Puntschu!

Puntschu erbricht es und murmelt Les actions du Funiculaire de la Jung-Frau tombées … Attends! Gibt Bob ein Trinkgeld Comment t’appelles-tu?

Bob Gaston Tarnaud, Monsieur; mais on m’a baptisé Bob parce que ça se prononce plus court comme ça.

Puntschu Es-tu né à Paris?

Bob Oui, Monsieur.

Puntschu Quel âge? …

Kadéga di Santa Croce tritt von rechts hinten ein.

Kadéga Maman n’est pas ici?

Puntschu Non. – Quelle charmante fille, mon dieu!

Kadéga Je la cherche partout ; je ne puis pas la trouver.

Puntschu Attendez donc; Maman va revenier. – Ist sie weiß Gott … Auf Bob sehend Und das Paar Kniehosen! – Weiß man nicht – Gott der Gerechte! – Wird mir unheimlich ... Nach rechts hinten ab.

Kadéga Ecoutez, Monsieur, vous n’avez pas vu ma mère?

Bob Non, Mademoiselle; je ne l’ai pas vue.

Kadéga Qu’est-ce qu’il y a là haut?

Bob Madame doit être montée. Si Mademoiselle veut me suivre? Vous ne voulez pas?

Kadéga A quoi faire; dites?

Bob Ça vous amusera.

Kadéga Eh bien, faites voir.

Bob Pas ici.

Kadéga Je n’y monte pas. On va me gronder.

Bob Eh bien, Mademoiselle.

Kadéga Après vous, Monsieur!

Madelaine de Marelle stürzt in heilloser Aufregung herein und bemächtigt sich Kadégas.

Madelaine de Marelle La voilà, mon Dieu! N’a-tu pas honte, vilaine garce, hein?

Kadéga Oh, maman ; je t’ai cherchée!

Madelaine de Marelle Tu m’as cherchée! – T’ai-je envoyée me chercher? – Qu’as-tu à faire avec ce haiduck là?! – Ah, tu me connaîtras!

Alwa, Heilmann, Ludmilla Steinherz, Puntschu, die Gräfin Geschwitz und Lulu treten aus dem Speisezimmer ein. – Bob hat sich gedrückt.

Madelaine de Marelle zu Kadéga Ne pleure pas; tu sais!

Lulu zu Kadéga Vous avez pleuré, Mademoiselle ?

Ludmilla Steinherz La pauvre petite !

Madeleine de Marelle Ce sont les nerfs. Il n’y faut pas faire attention.

Puntschu Mais vous êtes trop sévère, Madame ! Voilà l’âge le plus difficile.

Die Geschwitz Je voudrais bien qu’on retournât au jeu.

Die Gesellschaft begibt sich ins Speisezimmer. Lulu wird an der Tür von Bob zurückgehalten, der ihr etwas zuflüstert.

Lulu Eh bien, qu’il entre.

Bob öffnet die Tür zum Korridor und läßt Schigolch eintreten. Schigolch trägt Frack, weiße Halsbinde, schiefgetretene Lackstiefel und einen schäbigen Klapphut, den er aufbehält.

Schigolch mit einem Blick auf Bob Wo hast du den her?

Lulu Aus dem Nouveau Cirque.

Schigolch Er ist etwas breit in den Hüften.

Lulu Er ist breiter als ich. – Gefällt dir das nicht!

Schigolch Wieviel Lohn bekommt er bei dir!

Lulu Frag ihn, wenn dich das so interessiert.

Schigolch Dazu reichen meine französischen Sprachkenntnisse noch nicht aus.

Lulu zu Bob Allez fermer les portes.

Bob geht ins Spielzimmer und schließt die Tür hinter sich.

Schigolch Ich brauche nämlich notwendig fünfhundert Francs. Ich habe meiner Geliebten ein Appartement gemietet. Elle veut se mettre dans ses meubles.

Lulu Hast du dir auch noch eine Geliebte genommen?

Schigolch Sie ist Münchnerin. In ihrer Jugend war sie die Frau des Königs von Neapel. Sie sagt mir jeden Tag, daß sie früher einmal sehr hübsch gewesen sei.

Lulu Braucht sie die fünfhundert Francs sehr nötig?

Schigolch Elle veut se mettre dans ses meubles. Solche Summen spielen bei dir keine Rolle.

Lulu in einem Sessel zusammenbrechend O du allmächtiger Gott!

Schigolch Nun? – Was gibt es denn wieder?

Lulu schluchzt krampfhaft Es ist zu grauenhaft!

Schigolch Hm – du übernimmst dich, mein Kind. – Du mußt dich zuweilen mit einem Roman zu Bett legen. – Weine nur; weine dich nur recht aus. – So hat es dich auch schon vor fünfzehn Jahren geschüttelt. Es hat seitdem kein Mensch mehr so geschrien, wie du damals hast schreien können. – Damals trugst du noch keinen weißen Federbusch auf dem Kopf und hattest auch keine durchlöcherten Strümpfe an deinen Beinen. Du hattest weder Stiefel noch Strümpfe dazu.

Lulu Nimm mich mit dir nach Haus! Nimm mich diese Nacht mit zu dir an den Quai de la Gare! Ich bitte dich! Wir finden unten Wagen genug!

Schigolch Ich nehme dich mit; ich nehme dich mit. – Was gibt es denn?

Lulu Es geht um meinen Hals! Man zeigt mich an!

Schigolch Wer? – Wer zeigt dich an?

Lulu Der Springfritze.

Schigolch Dem besorg’ ich es!

Lulu Besorg es ihm! Ich bitte dich, besorg es ihm! Dann tu mit mir, was du willst.

Schigolch Wenn er zu mir kommt, ist er abgetan. Mein Fenster geht auf die Seine. – Aber er kommt nicht; er kommt nicht.

Lulu Welche Nummer wohnst du?

Schigolch Vingt-cinq, Quai de la Gare.

Lulu Ich schicke ihn hin. Er kommt mit der verrückten Kröte, die mir um die Füße kriecht; er kommt noch heute abend. Geh nach Haus, damit sie es behaglich finden.

Schigolch Laß sie nur kommen.

Lulu Morgen bring mir seine goldenen Ringe, die er in den Ohren trägt.

Schigolch Hat er Ringe in den Ohren? – Das habe ich noch gar nicht bemerkt.

Lulu Du kannst sie abschneiden, bevor du ihn hinunterläßt. Er merkt es nicht, wenn er besoffen ist.

Schigolch Und dann, mein Kind? Was dann?

Lulu Dann gebe ich dir fünfhundert Francs für deine Geliebte.

Schigolch Das nenne ich geizig. Hast du sonst nichts?

Lulu Was du magst! Was ich habe!

Schigolch Bald sind es zehn Jahre, daß wir uns nicht mehr kennen.

Lulu Wenn es weiter nichts ist? – Komm, so oft du willst! – Aber du hast doch eine Geliebte.

Schigolch Meine Vroni trägt keine Brillanten. Sie ist auch nicht mehr von heute.

Lulu Aber dann schwöre!

Schigolch Aber habe ich dir je nicht Wort gehalten?

Lulu Schwöre, daß du es ihm besorgst!

Schigolch Ich besorge es ihm.

Lulu Schwöre es mir! Schwöre es mir!

Schigolch legt seine Hand auf ihr Knie – Bei allem, was heilig ist! – Heut nacht, wenn er kommt. –

Lulu Bei allem, was heilig ist! – – – Wie das kühlt!

Schigolch macht seine Hand frei Wie das glüht!

Lulu Fahre nur gleich nach Hause. Sie kommen in einer halben Stunde! Nimm einen Fiacre!

Schigolch Ich gehe schon.

Lulu Rasch! Ich bitte dich! – – – Allmächtiger ...

Schigolch Was starrst du mich jetzt schon wieder so an?

Lulu Nichts ...

Schigolch Nun? – Ist dir deine Zunge angefroren?

Lulu Mein Strumpfband ist aufgegangen ...

Schigolch Nun ja denn!

Lulu Was bedeutet das?

Schigolch Was das bedeutet? Ich binde es dir, wenn du stillhältst.

Lulu Das bedeutet Unglück!

Schigolch Nicht für dich, mein Kind. Sei getrost, ich besorg’ es ihm. – Ab.

Lulu setzt den linken Fuß auf einen Schemel, bindet ihr Strumpfband und geht ins Spielzimmer ab. – Rodrigo wird von Casti-Piani in den Salon gepufft.

Rodrigo Behandeln Sie mich doch wenigstens anständig.

Casti-Piani Was könnte mich denn dazu veranlassen?! – Ich will wissen, was Sie vorhin mit der Frau hier gesprochen haben!

Rodrigo Dann können Sie mich gernhaben!

Casti-Piani Willst du Hund mir Rede und Antwort stehen! – Du hast von ihr verlangt, sie soll mit dir den Lift hinauffahren!

Rodrigo Das ist eine unverschämte, perfide Lüge!

Casti-Piani Sie erzählte es mir selbst! Du hast ihr gedroht, sie zu denunzieren, wenn sie nicht mit dir kommt! – Soll ich dich über den Haufen schießen?

Rodrigo Die schamlose Person! – Als könnte mir so etwas einfallen! – Wenn ich sie selber haben will, brauche ich ihr, weiß Gott im Himmel, nicht erst mit Gefängnis zu drohen!

Casti-Piani Danke schön. Weiter wollte ich nichts wissen. Nach rechts hinten ab.

Rodrigo So ein Hund! – Ein Kerl, den ich an die Decke werfe, daß er kleben bleibt wie ein Limburger Käse! – – Komm her, wenn ich dir die Därme um den Hals wickeln soll! – – Das wäre noch schöner!

Lulu kommt aus dem Spielzimmer.

Lulu Wo bleibst denn du? – Man muß dich suchen wie eine Stecknadel.

Rodrigo Dem habe ich gezeigt, was es heißt, mit mir anzufangen!

Lulu Wem denn?

Rodrigo Deinem Casti-Piani! Wie kannst du Kanaille dem Kerl erzählen, ich hätte dich verführen wollen?!

Lulu Hast du nicht von mir verlangt, daß ich mich für zwanzigtausend Francs dem Sohn meines verstorbenen Mannes hingebe?

Rodrigo Weil es deine Pflicht ist, dich des armen Jungen zu erbarmen! Du hast ihm seinen Vater in den schönsten Lebensjahre vor der Nase weggeschossen! Aber dein Casti-Piani überlegt es sich, bevor er mir wieder unter die Augen kommt. Dem gebe ich eins vor den Bauch, daß ihm die Kaldaunen wie Leuchtkugeln zum Himmel fliegen. Wenn du keinen besseren Ersatz für mich hast, dann bedaure ich, jemals deine Gunst genossen zu haben!

Lulu Die Geschwitz hat die fürchterlichsten Zustände. Sie windet sich in Krämpfen. Sie ist imstande und springt in die Seine, wenn du sie noch länger warten läßt.

Rodrigo Worauf wartet das Vieh denn?

Lulu Auf dich, daß du sie liebst.

Rodrigo Dann sag ihr, ich lasse sie grüßen und sie soll in die Seine springen.

Lulu Sie leiht mir die zwanzigtausend Francs, um mich vor dem Verderben zu retten, wenn du sie selber davor bewahrst. Wenn du sie heute mit dir nimmst, deponiere ich morgen zwanzigtausend Francs für dich auf dem Postbureau der Avenue de l’Opera.

Rodrigo Und wenn ich sie nicht mitnehme?

Lulu Dann zeig mich an! Alwa und ich sind auf dem trockenen.

Rodrigo Himmel, Tod und Wolkenbruch!

Lulu Du machst vier Menschen glücklich, wenn du fünfe gerad sein läßt und dich einem wohltätigen Zweck opferst.

Rodrigo Das wird nicht gehn; ich weiß es im voraus. Ich habe das jetzt genug ausprobiert. Wer rechnet bei dem Schirmgestell auch auf solch ein deutsches Gemüt! Was die Person für mich hatte, war der Umstand, daß sie Aristokratin ist. Mein Benehmen war so gentlemanlike, wie man es bei deutschen Artisten überhaupt nicht findet. Hätte ich ihr nur jemals unter die Röcke gegriffen!

Lulu Sie ist noch Jungfrau.

Rodrigo Wenn es einen Gott im Himmel gibt, dann werden dir deine Witze noch einmal heimgezahlt! Das prophezeie ich dir!

Lulu Die Geschwitz wartet. Was soll ich ihr sagen?

Rodrigo Meine ergebenste Empfehlung, und ich sei kastriert.

Lulu Das werde ich ausrichten.

Rodrigo Warte noch! – Ist es sicher, daß ich zwanzigtausend Francs von ihr erhalte?

Lulu Frag sie selbst!

Rodrigo Dann sag ihr, ich sei bereit. Ich erwarte sie in der Salle à manger. Ich muß nur erst noch eine Tonne Kaviar versorgen.

Rodrigo geht ins Speisezimmer. Lulu öffnet die Tür zum Spielzimmer und ruft ªMartha!´, worauf die Gräfin Geschwitz in den Salon tritt und die Tür hinter sich schließt.

Lulu Mein liebes Herz, du kannst mich heute vor dem Tode retten.

Die Geschwitz Wie kann ich das?

Lulu Wenn du den Springfritzen nach dem Quai de la Gare bringst.

Die Geschwitz Wozu das, mein Lieb?

Lulu Er sagt, du müßtest ihm heute abend noch angehören, sonst zeigt er mich morgen an.

Die Geschwitz Du weißt, daß ich keinem Manne angehören kann; ich bin von meinem Verhängnis nicht dazu bestimmt.

Lulu Wenn du ihm nicht zusagst, dann hat er das mit sich selbst auszumachen. Warum verliebt er sich in dich!

Die Geschwitz Aber er wird brutal werden wie ein Henkersknecht. Er wird sich für seine Enttäuschung rächen und mir die Schläfen einschlagen. Ich habe das schon erlebt. – Ist es nicht möglich, daß du mir diese schwere Prüfung ersparst?

Lulu Was gewinnst denn du dabei, wenn er mich anzeigt?

Die Geschwitz Ich habe in meinem Vermögen noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als Zwischendeckpassagiere nach Amerika fahren. Dort wärst du vor all deinen Verfolgern in Sicherheit.

Lulu Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner anderen Stadt mehr glücklich sein. Du mußt ihm sagen, daß du ohne ihn nicht leben kannst. Dann fühlt er sich geschmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den Kutscher bezahlen. Sag dem Kutscher: ªVingt-cinq, Quai de la Gare.´ Das ist ein Hotel sechsten Ranges, in dem man dich mit ihm heute abend erwartet. Soll ich dir die Adresse aufschreiben?

Die Geschwitz Wie soll dir eine solche Ungeheuerlichkeit das Leben retten? – Ich verstehe das nicht. – Du hast, um mich zu martern, das furchtbarste Verhängnis heraufbeschworen, das über mich Geächtete hereinbrechen kann.

Lulu Vielleicht kuriert dich die Begegnung!

Die Geschwitz O Lulu, wenn es eine ewige Vergeltung gibt, dann möchte ich nicht für dich einstehen müssen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott über uns wacht. Und doch wirst du wohl recht haben, daß es nichts damit ist. Denn womit habe ich unbedeutendes Wurm seinen Zorn gereizt, um nur Entsetzen zu erleben, wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die Besinnung verliert!

Lulu Du hast dich nicht zu beklagen. Wenn du glücklich wirst, dann bist du hundert- und tausendmal glücklicher, als es einer von uns gewöhnlichen Sterblichen jemals wird.

Die Geschwitz Das weiß ich auch; ich beneide niemanden! Aber ich warte noch darauf. Du hast mich nun schon so oft betrogen.

Lulu Ich bin dein, mein Liebling, wenn du den Springfritzen bis morgen beruhigst. Er will nur seine Eitelkeit befriedigt sehen; du mußt ihn beschwören, daß er sich deiner erbarme.

Die Geschwitz Und morgen?

Lulu Ich erwarte dich, mein Herz. Ich werde die Augen nicht aufschlagen, bevor du kommst. Ich sehe keine Kammerfrau, ich empfange keinen Friseur, ich werde die Augen nicht aufschlagen, bevor du bei mir bist.

Die Geschwitz Dann laß ihn kommen.

Lulu Aber du mußt dich ihm an den Hals werfen, mein Lieb! Weißt du die Hausnummer noch?

Die Geschwitz Vingt-cinq, Quai de la Gare. – Jetzt aber rasch !

Lulu ruft ins Speisezimmer Voyons, viens, chéri!

Rodrigo kommt aus dem Speisezimmer Die Damen entschuldigen, daß ich das Maul voll habe.

Die Geschwitz ergreift seine Hand Ich bete Sie an! Erbarmen Sie sich meiner Not!

Rodrigo A la bonne heure! Besteigen wir das Schafott! Er bietet der Gräfin Geschwitz den Arm und verläßt mit ihr den Salon.

Lulu Bonne nuit, chers enfants! Sie begleitet das Paar auf den Korridor hinaus und kommt gleich darauf mit Bob zurück.

Lulu zu Bob Vite, mon enfant! Nous partirons à l’instant. Tu m’accompagneras. Mais nous allons nous déguiser. Tu me donneras tes vêtements et tu metteras les miens. – Vite, vite!

Bob A votre service, Madame!

Lulu und Bob ins Speisezimmer ab. Im Spielzimmer entsteht Lärm. Die Türen werden aufgerissen. Bankier Puntschu, Journalist Heilmann, Alwa Schön, Bianetta Gazil, Madelaine de Marelle, Kadéga di Santa Croce und Ludmilla Steinherz kommen in den Salon.

Heilmann ein Wertpapier in der Hand, auf dessen Titelkopf ein Alpenglühen zu sehen ist, zu Puntschu Il vous faut l’accepter, Monsieur!

Puntschu Mais ça n’a pas cours, mon cher!

Heilmann Sie Spitzbube ! Vous refusez de me donner ma revanche!

Bianetta Gazil Ah ces Prussiens!

Madelaine de Marelle Est-ce que vous y comprenez quelque chose?

Ludmilla Steinherz Il lui a pris son argent.

Heilmann Et le voilà maintenant qui quitte le jeu, ce filou.

Madelaine de Marelle Ah, ce n’est pas propre !

Puntschu Moi qui quitte le jeu ? – Que sa mise soit de l’argent, que Diable ! Je ne suis pas ici dans mon bureau de change. Qu’il vienne demain à dix heures m’offrir son papier !

Heilmann Mon papier ?! – Voici seize cents francs, les actions que vous m’avez vondues!

Puntschu Mais pur jouer il vous faut de l’argent comptant !

Heilmann Wenn Sie einen bis auf den letzten Sou ausgeraubt haben, dann hat es plötzlich pas cours!

Kadéga Qu’est-ce qu’ils disent, maman?

Madelaine de Marelle Je n’en sais, rien, moi –

Heilmann Sie Halsabschneider! Sie Saujude!

Puntschu Mais voyons, mon ami, soyons raisonnable! Il n’a pas de valeur, votre titre. Les actions du Funiculaire de la Jung-Frau sont tombées, ce soir, jusqu’à quinze. Je viens d’en recevoir la nouvelle par télégramme. Je n’en voulais rien dire d’abord …

Alwa Mais comment ça se fait-il? Nous voilà sur le pavé!

Puntschu Et moi, qui perds toute une fortune! Demain, à la bourse, on va nous en offrir pour cent sous la douzaine!

Madelaine de Marelle Grand Dieu! Dix-huit ans de peines et de travail! Sie sinkt in Ohnmacht.

Kadéga Oh, maman! Reveille-toi! – Elle meurt! Elle meurt!

Binanetta Gazil Où allez vous, ce soir, prendre votre diner, Monsieur Puntschu?

Puntschu Je sus pressé; je vrais prendre ma voiture.

Bianetta Gazil M’offrez-vous à souper chez Maxime puis que vous venez de perdre toute une fortune?

Puntschu Si vous voulez. On y sera mieux, peut-être. Il ne reste rien à faire ici.

Puntschu und Bianetta Gazil verlassen den Salon.

Heilmann ballt seine Aktie zusammen und wirft sie zu Boden Das hat man von dem Pack!

Ludmilla Steinherz Warum spekulieren Sie auf die Jungfrau! – Vous enverrez quelques petites notes à Berlin et le mal sera réparé.

Heilmann Bous avez beau dire, Madame! Ich habe das Handwerk noch nicht so los wie Sie. Wollen Sie mich nicht als Ihren Geheimsekretär in Dienst nehmen?

Ludmilla Steinherz Connaissez-vous le Mouton à cinq pattes? – Venez, allons au Mouton a cinq pattes! C’est tout près des Halles. Nous y sommes chez nous. Jusqu’au petit jour nous aurons fait un joli petit article.

Heilmann Vous ne dormez donc pas?

Ludmilla Steinherz La nuit? – Jamais!

Journalist Heilmann und Ludmilla Steinherz verlassen den Salon.

Alwa über Madelaine de Marelle gebeugt Elle a les mains glacées. Qu’elle est belle, cette femme! Il faudrait ouvrir son corsage, affin qu’elle puisse respirer plus librement.

Lulu kommt aus dem Speisezimmer in Jockeymütze, rotem Jackett, weißen Lederhosen und Stulpstiefeln, einen Radmantel um die Schultern.

Lulu Hast du noch etwas Geld, Alwa?

Alwa Bist du verrückt geworden?

Lulu In zwei Minuten kommt die Polizei. Wir sind verraten. Bleib hier, wenn du Lust hast!

Alwa Barmherziger Himmel!

Lulu und Alwa verlassen den Salon.

Kadéga di Santa Croce Maman, reveille-toi! Tout le monde s’enfuit!

Madelaine de Marelle zu sich kommend Et la jeunesse et les beaux jours passés! Oh cette vie!

Kadéga Mais c’est moi, qui gagnera de l’argent pour nous deux. Je ne veux plus rentrer dans mon couvent.

Madelaine de Marelle Dieu te bénisse! Sais-tu bien ci que tu dis! – J’aurai peut-être un engagement au Concert Parisien. J’y chanterai mon désastre; voilà ce qui les amusera!

Kadéga Mais tu n’as pas de voix, maman.

Madelaine de Marelle Dans ta jupe de bébé?! Ça non, par exemple!

Kadéga Mais justement! Suis-je pas gentille comme ça?

Madelaine de Marelle Eh bien, soit donc! Dieu me le pardonne! Demain soir nous irons à l’Olympia, si tu le veux.

Kadéga Si je veux, petite mère! Alors tu auras de quoi vivre.

Ein Herr vom Korridor eintretend Au nom de la loi – Madame, vous êtes arretée!

Casti-Piani ihm folgend Mais non, mais non!

 

DRITTER AUFZUG

London. Eine Dachkammer ohne Mansarde. Zwei große Scheiben in der Flucht des Daches öffnen sich nach oben. Rechts und links vorn je eine schlechtschließende Tür. Im rechten Proszenium eine zerrissene graue Matratze. Links vorn ein wackliger Blumentisch, auf dem eine Whiskyflasche und eine qualmende Petroleumlampe stehen. Links hinten in der Ecke eine alte Chaiselongue; neben der Mitteltür ein durchsessener Strohsessel.

Man hört den Regen aufs Dach schlagen; er träufelt durch die Luke, so daß die Diele unter Wasser steht. Vorn auf der Matratze liegt Schigolch in langem grauen Paletot. Auf der Chaiselongue links in der Ecke liegt Alwa Schön, in einen Plaid gewickelt, dessen Riemen über ihm an der Wand hängt.

Schigolch Der Regen trommelt zur Parade.

Alwa Ein stimmungsvolles Wetter für ihr erstes Auftreten!

Lulu in halblangem Haar, das ihr offen über die Schulter fällt, tritt barfuß in abgerissenem schwarzen Kleide von links vorn ein mit einer Waschschüssel, die sie unter den Tropfenfall setzt.

Schigolch Wo bleibst du denn, mein Kind? – Hast du dir erst noch die Hände gewaschen?

Alwa Reinlichkeit ist der Schmuck der Armut.

Lulu sich aufrichtend, ihr Haar zurückschlagend Wenn nur du erst hier aus dem Wege wärst.

Alwa Mir träumte eben, wir dinierten zusammen chez Maxime. Bianetta Gazil war noch mit dabei. Ich hatte fers de cheval bestellt. Das Tischtuch triefte auf allen vier Seiten von Champagner.

Schigolch Yes, yes; und mir träumte von einem Stück Christmas-Pudding.

Lulu Wenn man sich an einem von euch wenigstens etwas wärmen könnte!

Alwa Willst du denn deine Pilgerfahrt barfuß antreten?

Schigolch Der erste Schritt kostet immer allerhand Geächz und Gestöhn. Vor zwanzig Jahren war das mit ihr um kein Haar besser; und was hat sie seitdem gelernt! Die Kohlen müssen nur erst gehörig angefacht sein. Wenn sie acht Tage dabei ist, halten sie keine zehn Lokomotiven mehr hier in unserer ärmlichen Dachkammer.

Alwa Die Schüssel läuft schon über.

Lulu Wo soll ich denn hin mit dem Wasser?

Alwa Gieß es zum Fenster hinaus.

Lulu steigt auf einen Stuhl und leert die Waschschale durch die Dachluke hinaus Es scheint doch, der Regen will endlich nachlassen.

Schigolch Du vertrödelst die Stunde, wo die Kommis vom Abendessen nach Hause gehen.

Lulu Wollte Gott, ich läge schon irgendwo, wo mich kein Fußtritt mehr weckt!

Alwa Das wünschte ich mir auch. Wozu dieses Leben noch in die Länge ziehen! Laßt uns lieber heute abend noch in Frieden und Eintracht zusammen verhungern. Es ist ja doch die letzte Station.

Lulu Warum gehst denn du Faultier nicht hin und schaffst uns was zu essen?! Du hast in deinem ganzen Leben noch keinen Pfennig verdient!

Alwa Bei diesem Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Türe jagt!?

Lulu Aber mich! Ich soll euch mit dem bißchen Blut, das ich noch in den Gliedern habe, das Maul stopfen.

Alwa Ich rühre keinen Happen an von dem Geld.

Schigolch Laß sie nur gehen. Sie hat mit fünfzehn Jahren ihre Familie ernährt. Ich sehne mich noch nach einem Christmas-Pudding; dann habe ich genug.

Alwa Und ich sehne mich noch nach einem saftigen Beefsteak und einer Zigarette, dann sterben! – Mir träumte eben von einer Zigarette, wie ich sie noch nie geraucht habe.

Schigolch Sie sieht uns lieber vor ihren Augen krepieren, als daß sie sich zu unserer Erlösung ein Vergnügen macht.

Lulu Die Menschen auf der Straße lassen mir eher Mantel und Rock in den Händen, ehe sie umsonst mitgehen. Hättet ihr meine Kleider nicht verkauft, dann brauchte ich wenigstens das Laternenlicht nicht zu scheuen. Ich möchte das Weib sehen, das in den Lumpen, die ich am Leib trage, noch was verdient.

Alwa Ich habe nichts Menschliches unversucht gelassen. Solange ich noch Geld hatte, brachte ich die Nächte damit hin, Tabellen aufzubauen, mit denen man den perfektesten Falschspielern gegenüber hätte gewinnen müssen. Und dabei verlor ich Abend für Abend mehr, als wenn ich die Goldstücke eimerweise zum Fenster hinausgeschüttet hätte. Dann bot ich mich den Kurtisanen an; aber die nehmen keinen, den ihnen die Justiz nicht vorher abgestempelt hat. Und das sehen sie einem auf den ersten Blick an, ob man Beziehungen zum Galgen hat oder nicht.

Schigolch Yes, yes.

Alwa Ich habe mir keine Enttäuschung erspart; aber wenn ich Witze machte, dann lachten sie über mich selbst; wenn ich mich so anständig gab, wie ich bin, dann wurde ich geohrfeigt; und wenn ich es mit Gemeinheiten versuchte, dann wurden sie so keusch und jungfräulich, daß mir vor Entsetzen die Haare zu Berge standen. Wer die menschliche Gesellschaft nicht überwunden hat, der findet kein Vertrauen bei ihnen.

Schigolch Willst du nicht vielleicht endlich deine Stiefel anziehen, mein Kind? – Ich glaube, ich werde in dieser Behausung nicht mehr viel älter werden. Von den Zehenspitzen aufwärts habe ich schon seit Paris kein Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich. – Und dann die Reiselust, die mich in Atem hält. Gegen Mitternacht werde ich im Cosmopolitan-Club doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Gestern sagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Aussicht, ihr Geliebter zu werden.

Lulu In des drei Teufels Namen, ich gehe hinunter! Sie nimmt die Whiskyflasche vom Blumentisch und setzt sie an den Mund.

Schigolch Damit man dich auf eine halbe Stunde weit kommen riecht! –

Lulu Ich trinke nicht alles.

Alwa Du gehst nicht hinunter, mein Weib! Du gehst nicht hinunter! Ich verbiete es dir!

Lulu Was willst du deinem Weibe verbieten, das du nicht ernähren kannst?

Alwa Wer ist daran schuld?! Wer anders als meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht.

Lulu Bin ich krank?

Alwa Wer hat mich in den Kot geschleift? – Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht?

Lulu Hast du ihn erschossen? – Er hat nicht viel verloren, aber wenn ich dich dort liegen sehe, dann möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich so gegen meine Vernunft versündigt habe! – Sie geht nach links in ihre Kammer.

Alwa Sie hat es mir von ihrem Casti-Piani übermacht. Sie selbst ist allerdings längst nicht mehr dafür erreichbar.

Schigolch Solche Teufelsracker können gar nicht früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch Engel daraus werden sollen.

Alwa Sie hätte als Kaiserin von Rußland geboren werden müssen. Da wäre sie an ihrem Platz gewesen. Eine zweite Katharina die Zweite.

Lulu kommt mit einem Paar ausgetretener Stiefeletten aus ihrer Kammer zurück und setzt sich auf die Diele, um sie anzuziehen.

Lulu Wenn ich nur nicht kopfüber die Treppe hinunterstürze! – Hu, wie kalt! – – Gibt es etwas Traurigeres auf dieser Welt als ein Freudenmädchen!

Schigolch Geduld, Geduld! Es muß nur erst der richtige Zug ins Geschäft kommen.

Lulu Mir soll’s recht sein; um mich ist es nicht mehr schade. Sie setzt die Whiskyflasche an Ça me chauffe! Ça m’excite! – O verflucht!

Sie geht wankend durch die Mitteltür ab.

Schigolch Wenn wir sie kommen hören, müssen wir uns so lange in meinem Verschlag verkriechen.

Alwa Es ist ein Jammer um sie! – Wenn ich zurückdenke – ich bin doch gewissermaßen mit ihr zusammen aufgewachsen.

Schigolch Solange ich lebe, hält sie jedenfalls noch vor.

Alwa Wir verkehrten anfangs miteinander wie Bruder und Schwester. Mama lebte damals noch. Ich traf sie eines Morgens zufällig bei der Toilette. Doktor Goll war zu einer Konsultation gerufen worden. Ihr Friseur hatte mein erstes Gedicht gelesen, das ich in der ªGesellschaft´ hatte drucken lassen: ªHetz deine Meute weit über die Berge hin; sie kehrt wieder von Schweiß und von Staub bedeckt ...´

Schigolch Oh yes!

Alwa Und dann kam sie in rosa Tüll – sie trug nichts darunter als ein weißes Atlasmieder – auf dem Ball beim spanischen Gesandten. Doktor Goll schien seinen nahen Tod zu ahnen. Er bat mich, mit ihr zu tanzen, damit sie keine Tollheiten anstellte. Derweil wandte Papa kein Auge von uns, und sie sah während des Walzers über meine Schulter weg nur nach ihm. Nachher hat sie ihn erschossen. Es ist unglaublich.

Schigolch Ich zweifle nur stark daran, daß noch einer anbeißt.

Alwa Ich möchte es auch niemandem raten!

Schigolch Dieses Rindvieh!

Alwa Sie hatte damals, obgleich sie als Weib schon vollkommen entwickelt war, den Ausdruck eines fünfjährigen, munteren, kerngesunden Kindes. Sie war damals auch nur drei Jahre jünger als ich; aber wie lang ist das nun schon her! Trotz ihrer fabelhaften Überlegenheit in Fragen des praktischen Lebens ließ sie sich von mir den Inhalt von ªTristan und Isolde´ erklären; und wie entzückend verstand sie sich dabei aufs Zuhören! – Aus dem Schwesterchen, das sich in seiner Ehe noch wie ein Schulmädchen fühlte, wurde dann eine unglückliche hysterische Künstlersfrau. Aus der Künstlersgattin wurde dann die Frau meines seligen Vaters; aus der Frau meines Vaters wurde meine Geliebte. Das ist nun einmal so der Lauf der Welt; wer will dagegen aufkommen.

Schigolch Wenn sie im entsprechenden Augenblick nur nicht Reißaus nimmt und uns statt dessen einen Obdachlosen heraufbringt, mit dem sie ihre Herzensgeheimnisse ausgetauscht hat!

Alwa Ich küßte sie zum erstenmal in ihrer rauschenden Brauttoilette; aber nachher wußte sie nichts mehr davon. Trotzdem glaube ich, daß sie in den Armen meines Vaters schon an mich gedacht hat. Oft kann es ja nicht gewesen sein. Er hatte seine Zeit hinter sich, und sie betrog ihn mit Kutscher und Stiefelputzer. Aber wenn sie sich ihm gab, dann stand ich vor ihrer Seele. Dadurch hat sie auch, ohne daß ich mich dessen versehen konnte, diese furchtbare Gewalt über mich erlangt.

Schigolch Da sind sie!

Man hört schwere Tritte die Treppe heraufkommen.

Alwa hochfahrend Ich will das nicht erleben! Ich werfe den Kerl hinaus!

Schigolch rafft sich mühsam auf, nimmt Alwa am Kragen und pufft ihn nach rechts Vorwärts, vorwärts! Wie soll ihr der Junge seinen Kummer beichten, wenn wir zwei hier herumsielen.

Alwa Aber wenn er ihr Gemeinheiten zumutet!

Schigolch Und wenn, und wenn! Was will er ihr denn noch zumuten! Er ist auch nur ein Mensch wie wir.

Alwa Wir müssen die Tür auf lassen.

Schigolch Alwa in den Verschlag stoßend Wozu die Tür auf lassen! – Kusch dich!

Alwa im Verschlag Ich werde schon hören, was vorgeht. Gnade ihm der Himmel!

Schigolch schließt die Kammertür. Von innen. Jetzt still!

Alwa von innen Der soll sich vorsehen.

Lulu öffnet die Mitteltür und läßt Mr. Hopkins eintreten. Mr. Hopkins ist ein Mann von hünenhafter Gestalt, glattrasiertem rosigem Gesicht, himmelblauen Augen und freundlichem Lächeln Er trägt Havelock und Zylinder und hält in der Hand den triefenden Schirm.

Lulu There is my little room.

Mr. Hopkins legt den Zeigefinger auf den Mund und sieht Lulu bedeutungsvoll an. Darauf spannt er seinen Schirm auf und stellt ihn im Hintergrund zum Trocknen auf die Diele.

Lulu It’s not just too comfortable here.

Mr. Hopkins kommt nach vorn und hält ihr die Hand vor den Mund.

Lulu What do you mean?

Mr. Hopkins legt ihr die Hand vor den Mund und hält den Zeigefinger an die Lippen.

Lulu I don’t understand that.

Mr. Hopkins hält ihr den Mund zu.

Lulu sich freimachend We are alone. – There is nobody.

Mr. Hopkins legt den Zeigefinger an die Lippen, schüttelt verneinend den Kopf, zeigt auf Lulu, öffnet den Mund wie zum Sprechen, zeigt auf sich und dann auf die Türe.

Lulu Mon Dieu, quel monstre!

Mr. Hopkins hält ihr den Mund zu. Darauf geht er nach hinten, faßt seinen Havelock zusammen und legt ihn über den Stuhl neben der Tür. Dann kommt er mit grinsendem Lächeln nach vorne, nimmt Lulu mit beiden Händen beim Kopf und küßt sie auf die Stirn.

Schigolch hinter der halboffenen Tür rechts vor Der hat einen Spleen.

Alwa Er soll sich vorsehen!

Schigolch Etwas Trostloseres hätte sie uns nicht heraufbringen können!

Lulu zurücktretend I hope you will give me some money.

Mr. Hopkins hält ihr den Mund zu und drückt ihr ein Zehnschillingstück in die Hand.

Lulu besieht das Geldstück und wirft es aus einer Hand in die andere.

Mr. Hopkins sieht sie unsicher fragend an.

Lulu das Geldstück in die Tasche steckend Allright!

Mr. Hopkins hält ihr rasch den Mund zu, gibt ihr ein Fünfschillingstück und wirft ihr einen gebieterischen Blick zu.

Lulu You are generous!

Mr. Hopkins springt wie wahnsinnig im Zimmer umher, fuchtelt mit den Armen in der Luft und start verzweiflungsvoll gen Himmel.

Lulu nähert sich ihm vorsichtig, schlingt den Arm um ihn und küßt ihn auf den Mund.

Mr. Hopkins macht sich lautlos lachend von ihr los und blickt sich fragend im Zimmer umher.

Lulu nimmt die Lampe vom Blumentisch, wirft Mr. Hopkins einen verheißungsvollen Blick zu und öffnet die Tür zu ihrer Kammer.

Mr. Hopkins tritt lächelnd ein indem er unter der Tür seinen Hut lüftet.

Lulu folgt ihm.

Die Bühne ist finster bis auf einen Lichtstrahl, der von links durch die Türspalte dringt. – Alwa und Schigolch kriechen auf allen Vieren aus ihrem Verschlag.

Alwa Sie sind drin.

Schigolch hinter ihm Warte noch!

Alwa Hier hört man nichts.

Schigolch Das hat man doch oft genug gehört!

Alwa Ich will vor ihrer Tür knien.

Schigolch Dieses Muttersöhnchen! Er drückt sich an Alwa vorbei, tappt über die Bühne, nimmt Mr. Hopkins Havelock vom Stuhl und durchsucht die Taschen.

Alwa hat sich vor Lulus Kammertür geschlichen.

Schigolch Handschuhe – sonst nichts! Er kehrt den Havelock um, durchsucht die inneren Taschen und zieht ein Buch heraus, das er an Alwa gibt Sieh mal nach, was das ist!

Alwa hält das Buch in den Lichtstrahl, der durch die Tür dringt, und entziffert mühsam das Titelblatt Lessons for those – who are – and those who want to be – Christian Workers – with a preface – by Rev. W. Hay. M. H. – Very helpful. – Price three shillings six.

Schigolch Der scheint ganz von Gott verlassen zu sein. Legt den Mantel über den Stuhl und tastet sich nach dem Verschlag zurück Es ist nichts hier in London. Die Nation hat ihre Glanzzeit hinter sich.

Alwa Das Leben ist nie so schlimm, wie man es sich vorstellt. Er kriecht ebenfalls nach dem Verschlag zurück.

Schigolch Nicht einmal ein seidenes Foulard hat der Kerl! Und dabei kriechen wir in Deutschland vor dem Pack auf dem Bauch!

Alwa Laß uns wieder verschwinden. Vielleicht gibt er ihr beim Abschied noch was.

Schigolch Sie denkt an nichts als an ihr Vergnügen und nimmt den ersten, der ihr in den Weg läuft. Hoffentlich vergißt der Hund sie zeit seines Lebens nicht.

Schigolch und Alwa verkriechen sich in ihr Kämmerchen und schließen die Tür hinter sich. Darauf kommt Lulu mit Mr. Hopkins aus ihrer Kammer. Sie setzt die Lampe auf den Blumentisch, während Mr. Hopkins sie sinnend betrachtet.

Lulu Do you think to come again?

Mr. Hopkins hält ihr den Mund zu.

Lulu etwas verklärt, blickt in einer Art Verzweiflung gen Himmel und schüttelt den Kopf.

Mr. Hopkins hat seinen Havelock übergeworfen und nähert sich ihr mit grinsendem Lächeln. Sie wirft sich ihm an den Hals, worauf er sich sachte losmacht, ihr die Hand küßt und sich zur Tür wendet. Sie will ihn begleiten, er winkt ihr aber zurückzubleiben und verläßt geräuschlos das Gemach. Schigolch und Alwa kommen aus ihrem Verschlag.

Lulu Hat mich der Mensch erregt!

Alwa Wieviel hat er dir gegeben?

Lulu Fünfzehn Schillinge. Hier sind sie! Nimm sie! Ich gehe wieder hinunter.

Schigolch Wir können noch wie die Prinzen hier oben leben.

Alwa Er kommt zurück.

Schigolch Dann laß uns nur gleich wieder abtreten.

Alwa Er sucht sein Gebetbuch; hier ist es. Es muß ihm aus dem Mantel gefallen sein.

Lulu aufhorchend Nein, das ist er nicht. Das ist jemand anders.

Alwa Es kommt jemand herauf. Ich höre es ganz deutlich.

Lulu Jetzt tappt jemand an der Tür. – Wer mag das sein?

Schigolch Wahrscheinlich ein guter Freund, dem er uns empfohlen hat. – Herein!

Die Gräfin Geschwitz tritt ein. Sie ist in ärmlicher Kleidung und trägt eine Leinwandrolle in der Hand.

Die Geschwitz Wenn ich dir ungelegen komme, dann kehre ich wieder um. Ich habe allerdings seit zehn Tagen mit keiner menschlichen Seele gesprochen. Ich muß dir nur gleich sagen, daß ich kein Geld bekommen habe. Mein Bruder hat mir gar nicht geantwortet.

Schigolch Jetzt möchten gräfliche Gnaden gerne ihre Füße unter unsern Tisch strecken?

Lulu Ich gehe wieder hinunter!

Die Geschwitz Wo willst du in dem Aufzug hin? – Ich komme trotzdem nicht mit ganz leeren Händen. Ich bringe dir etwas anderes. Auf dem Wege hierher am Leicester Square bot mir ein Trödler noch zwölf Schillinge dafür. Ich brachte es nicht übers Herz, mich davon zu trennen. Aber du kannst es verkaufen, wenn du willst.

Schigolch Was haben Sie denn da?

Alwa Lassen Sie doch mal sehen. Er nimmt die Leinwandrolle ab und entrollt sie Ach ja, mein Gott, das ist ja Lulus Porträt!

Lulu aufschreiend Und das bringst du Ungeheuer hierher? – Schafft mir das Bild aus den Augen! Werft es zum Fenster hinaus!

Alwa Warum nicht gar! Diesem Porträt gegenüber gewinne ich meine Selbstachtung wieder. Es macht mir mein Verhängnis begreiflich. Alles wird so natürlich, so selbstverständlich, so sonnenklar, was wir erlebt haben. Wer sich diesen blühenden schwellenden Lippen, diesen großen unschuldsvollen Kinderaugen, diesem rosig-weißen strotzenden Körper gegenüber in seiner bürgerlichen Stellung sicher fühlt, der werfe den ersten Stein auf uns.

Schigolch Man muß es annageln. Es wird einen ausgezeichneten Eindruck auf unsere Kundschaft machen.

Alwa Da drüben steckt schon ein Nagel dafür in der Wand.

Schigolch Wie kommen Sie denn zu der Akquisition?

Die Geschwitz Ich habe es in eurer Wohnung in Paris heimlich aus der Wand geschnitten, nachdem ihr fort wart.

Alwa Schade, daß am Rande die Farbe abgeblättert ist! Sie haben es nicht vorsichtig genug aufgerollt. Er befestigt das Bild mit dem oberen Rande an einem Nagel, der in der Wand steckt.

Schigolch Es muß unten noch einer durch, wenn es halten soll. Die ganze Etage bekommt ein eleganteres Aussehen.

Alwa Laßt mich nur, ich weiß schon, wie ich es mache. Er reißt verschiedene Nägel aus der Wand, zieht sich den linken Stiefel aus und schlägt die Nägel mit dem Stiefelabsatz durch den Rand des Bildes in die Mauer.

Schigolch Es muß nur erst wieder eine Weile hängen, um richtig zur Geltung zu kommen. Wer sich das angesehen hat, der bildet sich nachher ein, die seligsten Wonnen zu genießen.

Alwa seinen Stiefel wieder anziehend Ihr Körper stand auf dem Höhepunkt seiner Entfaltung, als das Bild gemalt wurde. Die Lampe, liebes Kind! Mir scheint, es ist außergewöhnlich stark nachgedunkelt.

Die Geschwitz Es muß ein eminent begabter Künstler gewesen sein, der das gemalt hat!

Lulu mit der Lampe vor das Bild tretend Hast du ihn denn nicht gekannt?

Die Geschwitz Nein; das muß lange vor meiner Zeit gewesen sein. Ich hört nur zuweilen noch abfällige Bemerkungen von euch darüber, daß er sich in seinem Verfolgungswahn den Hals abgeschnitten habe.

Alwa das Porträt mit Lulu vergleichend Der kindliche Ausdruck in den Augen ist trotz allem, was sie seitdem genossen hat, noch ganz derselbe. Aber der frische Tau, der die Haut bedeckt, der duftige Hauch vor den Lippen, das strahlende Licht, das sich von der weißen Stirne aus verbreitet, und diese herausfordernde Pracht des jugendlichen Fleisches an Hals und Armen ...

Schigolch Das alles ist mit dem Kehrrichtwagen gefahren. Sie kann wenigstens sagen: Das war ich mal! Wem sie heute in die Hände gerät, der macht sich keinen Begriff mehr von unserer Jugendzeit.

Alwa Gott sei Dank merkt man den fortschreitenden Verfall nicht, wenn man fortwährend miteinander verkehrt. Das Weib blüht für uns in dem Moment, wo es den Menschen auf Lebenszeit ins Verderben stürzen soll. Das ist nun einmal so eine Naturbestimmung.

Schigolch Unten im Laternenschimmer nimmt sie es noch mit einem Dutzend dieser englischen Windmühlen auf. Wer um diese Zeit noch eine Bekanntschaft machen will, der sieht überhaupt nicht auf körperliche Qualitäten. Er fragt nach den seelischen Vorzügen. Er entscheidet sich für diejenige Person, von der er am wenigsten Diebesgelüste zu fürchten hat.

Lulu Ich werde es ja sehen, ob du recht hast. Adieu.

Alwa Du gehst nicht mehr hinunter, so wahr ich lebe!

Die Geschwitz Wo willst du hin?

Alwa Sie will sich einen Kerl heraufholen.

Die Geschwitz Lulu!

Alwa Sie hat es heute schon einmal getan.

Die Geschwitz Lulu, Lulu, ich gehe mit, wohin du gehst!

Schigolch Wenn Sie Ihre Knochen auf Zinsen legen wollen, dann suchen Sie sich bitte Ihr eigenes Trottoir.

Die Geschwitz Lulu, ich gehe dir nicht von der Seite! Ich habe Waffen bei mir.

Schigolch Verflucht noch mal! Gräfliche Gnaden legen es darauf an, mit unserem Speck zu fischen!

Lulu Ihr bringt mich um! Ich halte es nicht mehr aus!

Die Geschwitz Du brauchst nichts zu fürchten. Ich bin bei dir!

Lulu mit der Gräfin Geschwitz durch die Mitte ab.

Schigolch Sakerment, Sakerment, Sakerment!

Alwa wirft sich auf eine Chaiselongue Ich glaube, ich habe vom Diesseits nicht mehr viel Gutes zu erwarten.

Schigolch Man hätte das Frauenzimmer an der Kehle zurückhalten müssen. Sie vertreibt alles, was Odem hat, mit ihrem aristokratischen Totenschädel.

Alwa Sie hat mich aufs Krankenlager geworfen und mich von außen und innen mit Dornen gespickt!

Schigolch Dafür hat sie allerdings auch genug Courage für zehn Mannsleute im Leib.

Alwa Keinen Verwundeten wird der Gnadenstoß jemals dankbarer finden als mich!

Schigolch Wenn sie den Springfritzen nicht nach dem Quai de la Gare gelockt hätte, dann hätten wir ihn heute noch auf dem Hals.

Alwa Ich sehe ihn über meinem Haupte schweben wie Tantalus den Zweig mit goldenen Äpfeln.

Pause.

Schigolch auf seiner Matratze Willst du die Lampe nicht ein wenig hinaufschrauben?

Alwa Ob wohl ein schlichter Naturmensch in seiner Wildnis auch so unsäglich leiden kann? – Mein Gott, was habe ich aus meinem Leben gemacht!

Schigolch Was hat das Hundewetter aus meinem Havelock gemacht! – Mit fünfundzwanzig Jahren wußte ich mir zu helfen.

Alwa Es hat nicht jeder meine herrliche, sonnige Jugendzeit gekostet!

Schigolch Ich glaube, sie geht gleich aus. – Bis sie zurückkommen, wir es hier dunkel wie im Mutterleib.

Alwa Ich suchte mit klarstem Zielbewußtsein den Verkehr mit den Menschen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben. Ich klammerte mich mit aller Selbstverleugnung und Begeisterung daran, um zu den höchsten Höhen dichterischen Ruhmes emporgetragen zu werden. Die Rechnung war falsch. Ich bin der Märtyrer meines Berufes. Seit dem Tode meines Vaters habe ich nicht einen einzigen Vers mehr geschrieben.

Schigolch Wenn sie nur nicht zusammengeblieben sind! – Wer kein dummer Junge ist, geht sowieso nicht mit zweien.

Alwa Sie sind nicht zusammengeblieben!

Schigolch Das hoffe ich. Sie hält sich die Person im Notfall mit Fußtritten vom Leib.

Alwa Der eine, aus der Hefe des Volkes hervorgegangen, ist der gefeiertste Dichter seiner Nation; und der andere, im Purpur geboren, liegt in London in der Grundhefe und kann nicht sterben.

Schigolch Jetzt kommen sie!

Alwa Und wie selige Stunden gemeinsamer Schaffensfreude hatten sie miteinander erlebt!

Schigolch Das können sie jetzt erst recht. – Wir müssen uns wieder verkriechen.

Alwa Ich bleibe hier.

Schigolch Was bedauerst du sie? – Wer sein Geld ausgibt, hat auch seine Gründe dafür!

Alwa Ich habe den moralischen Mut nicht mehr, um mich wegen einer Summe von fünfzehn Schillingen in meiner Behaglichkeit stören zu lassen. Er verkriecht sich unter seinem Plaid.

Schigolch Ein anständiger Mensch tut, was er seiner Stellung schuldig ist. Verbirgt sich im Verschlag.

Lulu die Tür öffnend Come in, come in!

Kungu Poti, Erbprinz von Uahube, in hellem Überrock, hellen Beinkleidern, weißen Gamaschen, gelben Knopfstiefeln und grauem Zylinder, tritt ein.

Kungo Poti It’s very dark in the stair-case.

Lulu Come in, darling. Here is more light.

Kungo Poti Is that your sitting-room?

Lulu Yes, Sir.

Kungo Poti I feel cold.

Lulu Take you a drink?

Kungo Poti Well. Have you any brandy?

Lulu Yes. Come on. Ihm die Flasche gebend I don’t know where the glass is.

Kungu Poti That does not matter. Setzt die Flasche an Well.

Lulu You are a nice young man.

Kungo Poti My father is Sultan of Uahube. I have six women in London, three English, and three French. Well, I don’t like to see them. They are too stylish for me.

Lulu Will you stay longtime in London?

Kungo Poti Well. When my father is dead, I must go to Uahube. My kingdom is twice size of England.

Lulu How much will you give me?

Kungo Poti I give you a sovereign. Yes, I will give you one pound. I give always a sovereign.

Lulu You may give me afterwards, but you must show it to me first.

Kungo Poti Never I pay beforehand!

Lulu Allright, but show me your money.

Kungo Poti No, Daisy. Come on! Sie um den Leib fassend Come on!

Lulu Let me go, I say!

Kungo Poti greift ihr in die Haare Come on, Daisy; where is the bed?

Lulu No, no; don’t that!

Alwa springt vom Lager auf und packt Kungo Poti von hinten an der Kehle.

Kungo Poti Well, that’s a den! That’s a murderhole Er versetzt Alwa eins mit dem Totschläger über den Kopf.

Alwa bricht stöhnend zusammen.

Kungo Poti Well. I am going. Ab.

Lulu – – Ich bleibe auch nicht hier. – In eine Kaserne! – – Why look you so sorrowful, my dear? Ab. Schigolch kommt aus seinem Verschlag.

Schigolch über Alwa gebeugt Blut! – Alwa! – – Man muß ihn beiseite schaffen. – Hopp! – Sonst nehmen unsere Freunde Anstoß an ihm! – Alwa! Alwa! – Wer da nicht mit sich im klaren ist –! – Entweder oder; sonst wird’s leicht zu spät! – – Ich will ihm Beine machen. Er zündet ein Streichholz an und steckt es ihm unter den Kragen. Da sich Alwa nicht regt Er will seine Ruhe haben. – Aber hier wird nicht geschlafen. Er schleift ihn am Genick in Lulus Kammer. Darauf versucht er die Lampe hinaufzuschrauben. Für mich wird es nun auch bald Zeit, sonst kriegt man im Cosmopolitan Club keinen Christmas-Pudding mehr. Weiß Gott, wann die von ihrer Vergnügungstour zurückkommen – Lulus Bild ins Auge fassend Die versteht die Sache nicht. Die kann von der Liebe nicht leben, weil ihr Leben die Liebe ist. – Da kommt sie! Ich werde ihr ins Gewissen reden ...

Die Tür geht auf, und die Gräfin Geschwitz tritt ein.

Schigolch Wenn Sie Nachtquartier bei uns nehmen wollen, dann geben Sie bitte ein wenig acht, daß nichts gestohlen wird.

Die Geschwitz Wie dunkel es hier ist!

Schigolch Es wird noch viel dunkler. – Der Herr Doktor haben sich schon zur Ruhe begeben.

Die Geschwitz Sie schickt mich voraus.

Schigolch Das ist vernünftig. – Wenn jemand nach mir fragt, ich sitze unten im Cosmopolitan Club. – Ab.

Die Geschwitz allein Ich will mich neben die Türe setzen. Ich will alles mitansehen und nicht mit der Wimper zucken. Sie setzt sich auf den Strohsessel neben die Tür. – Die Menschen kennen sich nicht; sie wissen nicht, wie sie sind. Nur wer selber kein Mensch ist, der kennt sie. Jedes Wort, das sie sagen, ist unwahr und erlogen. Das wissen sie nicht, denn sie sind heute so und morgen so, je nachdem ob sie gegessen, getrunken und geliebt haben oder nicht. Nur der Körper bleibt auf einige Zeit, was er ist, und nur die Kinder haben Vernunft. Die Großen sind wie die Tiere; keines weiß, was es tut. Wenn sie am glücklichsten sind, dann jammern sie und stöhnen sie, und im tiefsten Elend freuen sie sich eines jeden winzigen Happens. Es ist sonderbar, wie der Hunger den Menschen die Kraft zum Unglück raubt. Wenn sie sich aber gesättigt haben, dann machen sie sich die Welt zur Folterkammer und werfen ihr Leben für die Befriedigung einer Laune weg. – Ob es wohl einmal Menschen gegeben hat, die durch Liebe glücklicher geworden sind? – Was ist denn ihr Glück anders, als daß sie besser schlafen und alles vergessen können? – Herr Gott, ich danke dir, daß du mich nicht geschaffen hast wie diese. – Ich bin nicht Mensch; mein Leib hat nichts Gemeines mit Menschenleibern. Habe ich eine Menschenseele? – Zerquälte Menschen tragen ein kleines enges Herz in sich; ich aber weiß, daß es nicht mein Verdienst ist, wenn ich alles hingebe, alles opfere ...

Lulu öffnet die Tür und läßt Doktor Hilti eintreten. Die Geschwitz bleibt, ohne von den beiden bemerkt zu werden, regungslos neben der Tür sitzen.

Lulu Whence are you coming so late, Sir?

Dr. Hilti I have been in the theatre. There are two thousand ladies lifting up the right leg at the same time; and then the two thousand ladies are lifting up the left leg at the same time. I never saw such handsome girls before.

Lulu Didn’t you? But you are not English?

Dr. Hilti No. I am only here the last two weeks. Are your borne in London?

Lulu No, Sir. I am French.

Dr. Hilti Ah, vous êtes Française?

Lulu Oui, monsieur, je suis Parisienne.

Dr. Hilti I am coming from Paris, where I was staying for eight days.

Lulu On s’y amuse mieux qu’ici. Vous ne trouvez pas?

Dr. Hilti Oui. I was everyday in the Louvre. I admired the pictures. But I am no French. I am from Zurich in Switzerland.

Lulu Est-ce de la Suisse Française, ça?

Dr. Hilti No. Zurich is in German Switzerland.

Lulu Alors vous parlez l’Allemand?

Dr. Hilti Sprächän Sie Töütsch?

Lulu Un petit peu seulement, parce que mon ancien amant était Allemand. Il était de Berlin, je crois.

Dr. Hilti Tonnärwättär, wia miach tas fröut, taß Sie Töütsch sprächan!

Lulu Du bleibst bei mir die Nacht?

Dr. Hilti Abär iach habä niacht mähr dän fühnf Schielingä bei miar; iach nämmä nia mähr miet, wän iach ausgähä.

Lulu It’s enough – parce que c’est toi! Tu as les yeux si doux. Viens, embrasse-moi !

Dr. Hilti Hiemäl, Härgoht, Töüfäl, Kräuzpatadiohn …

Lulu Je t’en prie, ferme ça.

Dr. Hilti Beim Töüfäl, äs ischt nämliach tas ärschte Mol, taß iach miet einäm Mädachän gähä. Tu kchanscht miar gloubän. Sakchärmänt, iach hätä miar tas gahnz andärsch gädahcht!

Lulu Bist du verheiratet?

Dr. Hilti Hiemäl, Hagäl, worum meinscht tu, iach sei värheurotet? – nein, iach bien Prifot-Tozänt; iach läsä Philossoffie ahn der Unifärsität. Sakchärmänt, iach bien nämliach ous oinär oltän Bodriziär-Fomiliä; iach ärhielt als Studänt nur zwoi Frankchen Totschängält, und tas kchohntä iach bässär anwänden als füar Mädachän.

Lulu Deshalb warst du nie bei einer Frau?

Dr. Hilti Äbän ja! Äbän! Abär iach brouchä äs itzt; iach habä miach heutä obänd värsprochän miet oinär Basler Bodriziärsdochtär. Sie ischt hiär Nursery governess.

Lulu Ist deine Braut hübsch?

Dr. Hilti Ja, sie hat zwoi Millionän. – Iach bien sähr gespahnt, wia äs miach dunkchän wird.

Lulu ihr Haar zurückwerfend Quelle chance! Sie erhebt sich und nimmt die Lampe Eh bien, viens, mon philosophe! Sie führt Dr. Hilti in ihrer Kammer und verriegelt von innen die Tür.

Die Geschwitz zieht einen kleinen schwarzen Revolver aus ihrer Tasche und hält ihn sich gegen die Stirn ... Come on, darling!

Dr. Hilti reißt von innen die Tür auf und stürzt heraus O verreckchte Chaib – do lit eine drin!

Lulu die Lampe in der Hand, hält ihn am Ärmel Bleib bei mir!

Dr. Hilti Ä Totnige! – Ä Liach!

Lulu Bleib bei mir, bleib bei mir!

Dr. Hilti sich losmachend Ä Liach lit do in – Himmel, Stärne, Chaib!

Lulu Bleib bei mir!

Dr. Hilti Wo got’s do usse? Die Geschwitz erblickend Und das isch de Tüfel!

Lulu Ich bitte dich, bleib!

Dr. Hilti Caibe, verchaibeti Chaiberei! – O du ewige Hagel! – Durch die Mitte ab.

Lulu Bleib! – Bleib! Sie stürzt ihm nach.

Die Geschwitz allein, läßt den Revolver sinken Lieber erhängen! – Wenn sie mich heute in meinem Blute liegen sieht, weint sie mir keine Träne nach. Ich war ihr immer nur das gefügige Werkzeug, das sich zu den schwierigsten Arbeiten gebrauchen ließ. Sie hat mich vom ersten Tage an aus tiefster Seele verabscheut. – Springe ich nicht lieber von der Towerbrücke hinunter? Was mag kälter sein, das Wasser oder ihr Herz? – Ich würde träumen, bis ich ertrunken bin. – – Lieber erhängen! – – Erstechen? – Hm, es kommt nichts dabei heraus. – – Wie oft träumte mir, daß sie mich küßt! Noch eine Minute nur; da klopft eine Eule ans Fenster, und ich erwache. – – Lieber erhängen! – Nicht die Themse; das Wasser ist zu rein für mich. Plötzlich auffahrend Da! – Da! – Da ist es! – Rasch noch, bevor sie kommt! Sie nimmt den Plaidriemen von der Wand, steigt auf den Sessel, befestigt den Riemen um den Hals, stößt mit den Füßen den Stuhl um und fällt zur Erde – – Verfluchtes Leben! – Verfluchtes Leben! – – Wenn es mir noch bevorstände? – Laß mich einmal nur zu deinem Herzen sprechen, mein Engel! Aber du bist kalt! – Ich soll noch nicht fort! Ich soll vielleicht auch einmal glücklich gewesen sein. – Höre auf ihn, Lulu; ich soll noch nicht fort! – Sie schleppt sich vor Lulus Bild, sinkt in die Knie und faltet die Hände Mein angebeteter Engel! Mein Lieb! Mein Stern! – Erbarm dich mein, erbarm dich mein, erbarm dich mein!

Lulu öffnet die Tür und läßt Jack eintreten. Er ist ein Mann von gedrungener Figur, von elastischen Bewegungen, blassem Gesicht, entzündeten Augen, hochgezogenen, starken Brauen, hängendem Schnurrbart, dünnem Knebelbart, zottigen Favoris und feuerroten Händen mit vernagten Fingernägeln. Sein Blick ist auf den Boden geheftet. Er trägt dunklen Überrock und kleinen runden Filzhut.

Jack die Geschwitz bemerkend Who is it?

Lulu It’s my sister, Sir. She is mad; she is always on my heels.

Jack You have a beautiful mouth when you are speaking.

Lulu Don’t go, please!

Jack You understand your business!

Lulu Yes, Sir.

Jack You are no English?

Lulu No, Sir. I am German, Sir.

Jack Where did you get your beautiful mouth?

Lulu From my mother, Sir.

Jack I do know that. – How much you want? – I cannot waste money.

Lulu Will you not stay all night with me, Sir?

Jack No. I haven’t time. I am married man.

Lulu You say, you missed the last bus and that you have spent the night with one of your friends.

Jack How much do you want?

Lulu Pound.

Jack Good evening. Will gehen.

Lulu hält ihn zurück Stay, stay!

Jack geht an der Geschwitz vorbei und öffnet den Verschlag Why wish you that I stay here all night? – That is suspicious! When I am sleeping, you will file my pockets.

Lulu I don’t do that. Don’t leave, Sir! I implore you!

Jack How much do you want?

Lulu Give me eight shillings.

Jack That is too much. – You are a beginner?

Lulu I am just starting to-day. Sie wirft die Geschwitz, die sich gegen Jack aufgerichtet hat, zu Boden.

Jack Let her go! – That is not your sister. She loves you. Streichelt der Geschwitz den Kopf Poor beast! –

Lulu Oh, I would like you would stay with me all night!

Jack Did you ever have a child?

Lulu No, Sir. Never. But I was a nice looking woman.

Jack Have you a friend living with you?

Lulu We are all alone, Sir.

Jack mit dem Fuß stampfend Who is living down below!

Lulu Nobody. That room is to let.

Jack I judged you after your way of walking. I saw your body is perfectly formed. I said to myself she must have a very expressive mouth.

Lulu It seems you took a fancy in my mouth.

Jack Yes. Indeed.

Lulu What are you staring at me?

Jack I have only a shilling.

Lulu Come on, give me the shilling.

Jack I must get six pence change. I have to take a bus tomorrow morning.

Lulu I have no penny.

Jack Come on. Look in your pocket.

Lulu ihre Taschen durchsuchend Nothing – nothing.

Jack Just let me see.

Lulu That’s all what I have. Sie hält ein Zehn-Schillingstück in der Hand.

Jack I want have the half sovereign.

Lulu I will change him to-morrow morning.

Jack Give it to me!

Lulu gibt ihm das Geld und nimmt die Lampe vom Blumentisch.

Jack vor Lulus Bild You are a society-woman. You did take care of yourself.

Lulu den Verschlag öffnend Come on, come on.

Jack We don’t need any light. The moon is shining.

Lulu As you like, Sir. Ihm um den Hals fallend I wouldn’t do you any harm. I love you. Don’t let me beg go any longer.

Jack Allright! Er folgt ihr in den Verschlag.

Die Lampe erlischt. Auf der Diele unter den beiden Fenstern erscheinen zwei viereckige grelle Flecke. Im Zimmer ist alles deutlich erkennbar.

Die Geschwitz allein, spricht wie im Traum Dies ist der letzte Abend, den ich mit diesem Volk verbringe. – Ich kehre nach Deutschland zurück. Meine Mutter schickt mir das Reisegeld. – Ich lasse mich immatrikulieren. – Ich muß für Frauenrechte kämpfen, Jurisprudenz studieren.

Lulu barfuß in Hemd und Unterrock, reißt schreiend die Tür auf und hält sie von außen zu Hilfe! – Hilfe!

Die Geschwitz stürzt nach der Tür, zieht ihren Revolver und richtet ihn, Lulu hinter sich drängend, gegen die Tür; zu Lulu Laß los!

Jack reißt, zur Erde gebückt, die Tür von innen auf und rennt der Geschwitz ein Messer in den Leib.

Die Geschwitz knallt einen Schuß gegen die Decke und bricht wimmernd zusammen.

Jack entreißt ihr den Revolver und wirft sich gegen die Ausgangstür Goddam! There is no finer mouth within the four seas! – Der Schweiß trieft ihm aus den Haaren, seine Hände sind blutig. Er keucht aus tiefster Brust und starrt mit aus dem Kopf tretenden Augen zu Boden.

Lulu zittert an allen Gliedern, blickt wild umher. Plötzlich ergreift sie die Whiskyflasche, zerschlägt sie am Tisch und stürzt, den abgebrochenen Hals in der Hand, auf Jack los.

Jack hat den rechten Fuß emporgezogen und schleudert Lulu auf den Rücken. Darauf hebt er sie vom Boden auf.

Lulu No, no! Have pity! – Murder! – They rip me up! – Police!

Jack Shut up! I have you save! Er trägt sie in den Verschlag.

Lulu von innen O don’t! – Don’t! – No!

Jack kommt nach einer Weile zurück und setzt die Waschschale auf den Blumentisch It was a hard piece of work! – Sich die Hände waschend I am a lucky dog to find this Unicum! Sieht sich nach einem Handtuch um Not so much as a towel is in this place! It looks awful poor here! – Trocknet seine Hände am Unterrock der Geschwitz ab Well! This monster is quite safe from me! – It will be all over with you in a second. Durch die Mitte ab.

Die Geschwitz allein – Lulu! – Mein Engel! – Laß dich noch einmal sehen! – Ich bin dir nah! Bleibe dir nah in Ewigkeit! In die Ellbogen brechend O verflucht! – Sie stirbt.