Rainer Maria Rilke
Die Sonette an Orpheus

Geschrieben als ein Grab-Mal für Wera Ouckama Knoop

 

Château de Muzot im Februar 1922

 

Erster Teil

I

Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!

O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!

Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung

ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

Tiere aus Stille drangen aus dem klaren

gelösten Wald von Lager und Genist;

und da ergab sich, daß sie nicht aus List

und nicht aus Angst in sich so leise waren,

sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr

schien klein in ihren Herzen. Und wo eben

kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen

mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, —

da schufst du ihnen Tempel im Gehör.

 

II

Und fast ein Mädchen wars und ging hervor

aus diesem einigen Glück von Sang und Leier

und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier

und machte sich ein Bett in meinem Ohr.

Und schlief in mir. Und alles war ihr Schlaf.

Die Bäume, die ich je bewundert, diese

fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese

und jedes Staunen, das mich selbst betraf.

Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast

du sie vollendet, daß sie nicht begehrte,

erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief.

Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv

erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte? —

Wo sinkt sie hin aus mir? … Ein Mädchen fast …

 

III

Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll

ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?

Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier

Herzwege steht kein Tempel für Apoll.

Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,

nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;

Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.

Wann aber sind wir? Und wann wendet er

an unser Sein die Erde und die Sterne

Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch

die Stimme dann den Mund dir aufstößt, — lerne

vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.

In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.

Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.

IV

O Ihr Zärtlichen, tretet zuweilen

in den Atem, der euch nicht meint,

laßt ihn an eueren Wangen sich teilen,

hinter euch zittert er, wieder vereint.

O ihr Seligen, o ihr Heilen,

die ihr der Anfang der Herzen scheint.

Bogen der Pfeile und Ziele von Pfeilen,

ewiger glänzt euer Lächeln verweint.

Fürchtet euch nicht zu leiden, die Schwere,

gebt sie zurück an der Erde Gewicht;

schwer sind die Berge, schwer sind die Meere.

Selbst die als Kinder ihr pflanztet, die Bäume

wurden zu schwer längst; ihr trüget sie nicht.

Aber die Lüfte … aber die Räume …

 

V

Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose

nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.

Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose

in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn

um andre Namen. Ein für alle Male

ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.

Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale

um ein paar Tage manchmal übersteht?

O wie er schwinden muß, daß ihrs begrifft!

Und wenn ihm selbst auch bangte, daß er schwände.

Indem sein Wort das Hiersein übertrifft,

ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.

Der Leier Gitter zwängt ihm nicht die Hände.

Und er gehorcht, indem er überschreitet.

 

VI

Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden

Reichen erwuchs seine weite Natur.

Kundiger böge die Zweige der Weiden,

wer die Wurzeln der Weiden erfuhr.

Geht ihr zu Bette, so laßt auf dem Tische

Brot nicht und Milch nicht; die Toten ziehts —.

Aber er, der Beschwörende, mische

unter der Milde des Augenlids

ihre Erscheinung in alles Geschaute;

und der Zauber von Erdrauch und Raute

sei ihm so wahr wie der klarste Bezug.

Nichts kann das gültige Bild ihm verschlimmern;

sei es aus Gräbern, sei es aus Zimmern,

rühme er Fingerring, Spange und Krug.

 

 

VII

Rühmen, das ists! Ein zum Rühmen Bestellter,

ging er hervor wie das Erz aus des Steins

Schweigen. Sein Herz, o vergängliche Kelter

eines den Menschen unendlichen Weins.

Nie versagt ihm die Stimme am Staube,

wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift.

Alles wird Weinberg, alles wird Traube,

in seinem fühlenden Süden gereift.

Nicht in den Grüften der Könige Moder

straft ihm die Rühmung lügen, oder

daß von den Göttern ein Schatten fällt.

Er ist einer der bleibenden Boten,

der noch weit in die Türen der Toten

Schalen mit rühmlichen Früchten hält.

 

VIII

Nur im Raum der Rühmung darf die Klage

gehn, die Nymphe des geweinten Quells,

wachend über unserm Niederschlage,

daß er klar sei an demselben Fels,

der die Tore trägt und die Altäre. —

Sieh, um ihre stillen Schultern früht

das Gefühl, daß sie die jüngste wäre

unter den Geschwistern im Gemüt.

Jubel weiß, und Sehnsucht ist geständig, —

nur die Klage lernt noch; mädchenhändig

zählt sie nächtelang das alte Schlimme.

Aber plötzlich, schräg und ungeübt,

hält sie doch ein Sternbild unsrer Stimme

in den Himmel, den ihr Hauch nicht trübt.

 

IX

Nur wer die Leier schon hob

auch unter Schatten,

darf das unendliche Lob

ahnend erstatten.

Nur wer mit Toten vom Mohn

aß, von dem ihren,

wird nicht den leisesten Ton

wieder verlieren.

Mag auch die Spieglung im Teich

oft uns verschwimmen:

Wisse das Bild.

Erst in dem Doppelbereich

werden die Stimmen

ewig und mild.

 

 

X

Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt,

grüß ich, antikische Sarkophage,

die das fröhliche Wasser römischer Tage

als ein wandelndes Lied durchfließt.

Oder jene so offenen, wie das Aug

eines frohen erwachenden Hirten,

— innen voll Stille und Bienensaug —

denen entzückte Falter entschwirrten;

alle, die man dem Zweifel entreißt,

grüß ich, die wiedergeöffneten Munde,

die schon wußten, was schweigen heißt.

Wissen wirs, Freunde, wissen wirs nicht?

Beides bildet die zögernde Stunde

in dem menschlichen Angesicht.

 

XI

Sieh den Himmel. Heißt kein Sternbild ›Reiter‹?

Denn dies ist uns seltsam eingeprägt:

dieser Stolz aus Erde. Und ein Zweiter,

der ihn treibt und hält und den er trägt.

Ist nicht so, gejagt und dann gebändigt,

diese sehnige Natur des Seins?

Weg und Wendung. Doch ein Druck verständigt.

Neue Weite. Und die zwei sind eins.

Aber sind sie’s? Oder meinen beide

nicht den Weg, den sie zusammen tun?

Namenlos schon trennt sie Tisch und Weide.

Auch die sternische Verbindung trügt.

Doch uns freue eine Weile nun

der Figur zu glauben. Das genügt.

 

XII

Heil dem Geist, der uns verbinden mag;

denn wir leben wahrhaft in Figuren.

Und mit kleinen Schritten gehn die Uhren

neben unserm eigentlichen Tag.

Ohne unsern wahren Platz zu kennen,

handeln wir aus wirklichem Bezug.

Die Antennen fühlen die Antennen,

und die leere Ferne trug …

Reine Spannung. O Musik der Kräfte!

Ist nicht durch die läßlichen Geschäfte

jede Störung von dir abgelenkt?

Selbst wenn sich der Bauer sorgt und handelt,

wo die Saat in Sommer sich verwandelt,

reicht er niemals hin. Die Erde schenkt.

 

XIII

Voller Apfel, Birne und Banane,

Stachelbeere … Alles dieses spricht

Tod und Leben in den Mund … Ich ahne …

Lest es einem Kind vom Angesicht,

wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.

Wird euch langsam namenlos im Munde?

Wo sonst Worte waren, fließen Funde,

aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.

Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.

Diese Süße, die sich erst verdichtet,

um, im Schmecken leise aufgerichtet,

klar zu werden, wach und transparent,

doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig —:

O Erfahrung, Fühlung, Freude —, riesig!

 

XIV

Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht.

Sie sprechen nicht die Sprache nur des Jahres.

Aus Dunkel steigt ein buntes Offenbares

und hat vielleicht den Glanz der Eifersucht

der Toten an sich, die die Erde stärken.

Was wissen wir von ihrem Teil an dem?

Es ist seit lange ihre Art, den Lehm

mit ihrem freien Marke zu durchmärken.

Nun fragt sich nur: tun sie es gern? …

Drängt diese Frucht, ein Werk von schweren Sklaven,

geballt zu uns empor, zu ihren Herrn?

Sind sie die Herrn, die bei den Wurzeln schlafen,

und gönnen uns aus ihren Überflüssen

dies Zwischending aus stummer Kraft und Küssen?

 

XV

Wartet …, das schmeckt … Schon ists auf der Flucht.

… Wenig Musik nur, ein Stampfen, ein Summen —

Mädchen, ihr warmen, Mädchen, ihr stummen,

tanzt den Geschmack der erfahrenen Frucht!

Tanzt die Orange. Wer kann sie vergessen,

wie sie, ertrinkend in sich, sich wehrt

wider ihr Süßsein. Ihr habt sie besessen.

Sie hat sich köstlich zu euch bekehrt.

Tanzt die Orange. Die wärmere Landschaft,

werft sie aus euch, daß die reife erstrahle

in Lüften der Heimat! Erglühte, enthüllt

Düfte um Düfte. Schafft die Verwandtschaft

mit der reinen, sich weigernden Schale,

mit dem Saft, der die Glückliche füllt!

 

 

XVI

Du, mein Freund, bist einsam, weil …

Wir machen mit Worten und Fingerzeigen

uns allmählich die Welt zu eigen,

vielleicht ihren schwächsten, gefährlichsten Teil.

Wer zeigt mit Fingern auf einen Geruch?

Doch von den Kräften, die uns bedrohten,

fühlst du viele … Du kennst die Toten,

und du erschrickst vor dem Zauberspruch.

Sieh, nun heißt es zusammen ertragen

Stückwerk und Teile, als sei es das Ganze.

Dir helfen, wird schwer sein. Vor allem: pflanze

mich nicht in dein Herz. Ich wüchse zu schnell.

Doch meines Herrn Hand will ich führen und sagen:

Hier. Das ist Esau in seinem Fell.

 

XVII

Zu unterst der Alte, verworrn,

all der Erbauten

Wurzel, verborgener Born,

den sie nie schauten.

Sturmhelm und Jägerhorn,

Spruch von Ergrauten,

Männer im Bruderzorn,

Frauen wie Lauten …

Drängender Zweig an Zweig,

nirgends ein freier …

Einer! O steig … o steig …

Aber sie brechen noch.

Dieser erst oben doch

biegt sich zur Leier.

 

XVIII

Hörst du das Neue, Herr,

dröhnen und beben?

Kommen Verkündiger,

die es erheben.

Zwar ist kein Hören heil

in dem Durchtobtsein,

doch der Maschinenteil

will jetzt gelobt sein.

Sieh, die Maschine:

wie sie sich wälzt und rächt

und uns entstellt und schwächt.

Hat sie aus uns auch Kraft,

sie, ohne Leidenschaft,

treibe und diene.

 

 

XIX

Wandelt sich rasch auch die Welt

wie Wolkengestalten,

alles Vollendete fällt

heim zum Uralten.

Über dem Wandel und Gang,

weiter und freier,

währt noch dein Vor-Gesang,

Gott mit der Leier.

Nicht sind die Leiden erkannt,

nicht ist die Liebe gelernt,

und was im Tod uns entfernt,

ist nicht entschleiert.

Einzig das Lied überm Land

heiligt und feiert.

 

XX

Dir aber, Herr, o was weih ich dir, sag,

der das Ohr den Geschöpfen gelehrt? —

Mein Erinnern an einen Frühlingstag,

seinen Abend, in Rußland —, ein Pferd …

Herüber vom Dorf kam der Schimmel allein,

an der vorderen Fessel den Pflock,

um die Nacht auf den Wiesen allein zu sein;

wie schlug seiner Mähne Gelock

an den Hals im Takte des Übermuts,

bei dem grob gehemmten Galopp.

Wie sprangen die Quellen des Rossebluts!

Der fühlte die Weiten, und ob!

Der sang und der hörte —, dein Sagenkreis

war in ihm geschlossen. Sein Bild: ich weih’s.

 

XXI

Frühling ist wiedergekommen. Die Erde

ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;

viele, o viele … Für die Beschwerde

langen Lernens bekommt sie den Preis.

Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße

an dem Barte des alten Manns.

Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,

dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!

Erde, die frei hat, du glückliche, spiele

nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,

fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.

O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,

und was gedruckt steht in Wurzeln und langen

schwierigen Stämmen: sie singts, sie singts!

 

XXII

Wir sind die Treibenden.

Aber den Schritt der Zeit,

nehmt ihn als Kleinigkeit

im immer Bleibenden.

Alles das Eilende

wird schon vorüber sein;

denn das Verweilende

erst weiht uns ein.

Knaben, o werft den Mut

nicht in die Schnelligkeit,

nicht in den Flugversuch.

Alles ist ausgeruht:

Dunkel und Helligkeit,

Blume und Buch.

 

XXIII

O Erst dann, wenn der Flug

nicht mehr um seinetwillen

wird in die Himmelstillen

steigen, sich selber genug,

um in lichten Profilen,

als das Gerät, das gelang,

Liebling der Winde zu spielen,

sicher, schwenkend und schlank, —

erst, wenn ein reines Wohin

wachsender Apparate

Knabenstolz überwiegt,

wird, überstürzt von Gewinn,

jener den Fernen Genahte

sein, was er einsam erfliegt.

 

XXIV

Sollen wir unsere uralte Freundschaft, die großen

niemals werbenden Götter, weil sie der harte

Stahl, den wir streng erzogen, nicht kennt, verstoßen

oder sie plötzlich suchen auf einer Karte?

Diese gewaltigen Freunde, die uns die Toten

nehmen, rühren nirgends an unsere Bäder.

Unsere Gastmähler haben wir weit —, unsere Bäder,

fortgerückt, und ihre uns lang schon zu langsamen Boten

überholen wir immer. Einsamer nun aufeinander

ganz angewiesen, ohne einander zu kennen,

führen wir nicht mehr die Pfade als schöne Mäander,

sondern als Grade. Nur noch in Dampfkesseln brennen

die einstigen Feuer und heben die Hämmer, die immer

größern. Wir aber nehmen an Kraft ab, wie Schwimmer.

 

 

XXV

Dich aber will ich nun, Dich, die ich kannte

wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß,

noch ein Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,

schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei’s.

Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,

anhielt, als göß man ihr Jungsein in Erz;

trauernd und lauschend-. Da, von den hohen Vermögern

fiel ihr Musik in das veränderte Herz.

Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,

drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,

trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.

Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,

glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen

trat in das trostlos offene Tor.

 

XXVI

Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner,

da ihn der Schwarm der verschmähten Mänaden befiel,

hast ihr Geschrei übertönt mit Ordnung, du Schöner,

aus den Zerstörenden stieg dein erbauendes Spiel.

Keine war da, daß sie Haupt dir und Leier zerstör.

Wie sie auch rangen und rasten, und alle die scharfen

Steine, die sie nach deinem Herzen warfen,

wurden zu Sanftem an dir und begabt mit Gehör.

Schließlich zerschlugen sie dich, von der Rache gehetzt,

während dein Klang noch in Löwen und Felsen verweilte

und in den Bäumen und Vögeln. Dort singst du noch jetzt.

O du verlorener Gott! Du unendliche Spur!

Nur weil dich reißend zuletzt die Feindschaft verteilte,

sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund der Natur.

Zweiter Teil

I

Atmen, du unsichtbares Gedicht!

Immerfort um das eigne

Sein rein eingetauschter Weltraum. Gegengewicht,

in dem ich mich rhythmisch ereigne.

Einzige Welle, deren

allmähliches Meer ich bin;

sparsamstes du von allen möglichen Meeren, —

Raumgewinn.

Wieviele von diesen Stellen der Räume waren schon

innen in mir. Manche Winde

sind wie mein Sohn.

Erkennst du mich, Luft, du, voll noch einst meiniger Orte?

Du, einmal glatte Rinde,

Rundung und Blatt meiner Worte.

 

II

So wie dem Meister manchmal das eilig

nähere Blatt den wirklichen Strich

abnimmt: so nehmen oft Spiegel das heilig

einzige Lächeln der Mädchen in sich,

wenn sie den Morgen erproben, allein, —

oder im Glanze der dienenden Lichter.

Und in das Atmen der echten Gesichter,

später, fällt nur ein Widerschein.

Was haben Augen einst ins umrußte

lange Verglühn der Kamine geschaut:

Blicke des Lebens, für immer verlorne.

Ach, der Erde, wer kennt die Verluste?

Nur, wer mit dennoch preisendem Laut

sänge das Herz, das ins Ganze geborne.

 

III

Spiegel: noch nie hat man wissend beschrieben,

was ihr in euerem Wesen seid.

Ihr, wie mit lauter Löchern von Sieben

erfüllten Zwischenräume der Zeit.

Ihr, noch des leeren Saales Verschwender —,

wenn es dämmert, wie Wälder weit …

Und der Lüster geht wie ein Sechzehn-Ender

durch eure Unbetretbarkeit.

Manchmal seid ihr voll Malerei.

Einige scheinen in euch gegangen

andere schicktet ihr scheu vorbei.

 

Aber die Schönste wird bleiben —, bis

drüben in ihre enthaltenen Wangen

eindrang der klare gelöste Narziß.

 

IV

O Dieses ist das Tier, das es nicht giebt.

Sie wußtens nicht und habens jeden Falls

- sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,

bis in des stillen Blickes Licht — geliebt.

Zwar war es nicht. Doch weil sie’s liebten, ward

ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.

Und in dem Raume, klar und ausgespart,

erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum

zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,

nur immer mit der Möglichkeit, es sei.

Und die gab solche Stärke an das Tier,

daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.

Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei —

und war im Silber-Spiegel und in ihr.

 

V

Blumenmuskel, der der Anemone

Wiesenmorgen nach und nach erschließt,

bis in ihren Schooß das polyphone

Licht der lauten Himmel sich ergießt,

in den stillen Blütenstern gespannter

Muskel des unendlichen Empfangs,

manchmal so von Fülle übermannter,

daß der Ruhewink des Untergangs

kaum vermag die weitzurückgeschnellten

Blätterränder dir zurückzugeben:

du, Entschluß und Kraft von wieviel Welten!

Wir, Gewaltsamen, wir währen länger.

Aber wann, in welchem aller Leben,

sind wir endlich offen und Empfänger?

 

VI

Rose, du thronende, denen im Altertume

warst du ein Kelch mit einfachem Rand.

Uns aber bist du die volle zahllose Blume,

der unerschöpfliche Gegenstand.

In deinem Reichtum scheinst du wie Kleidung um Kleidung

um einen Leib aus nichts als Glanz;

aber dein einzelnes Blatt ist zugleich die Vermeidung

und die Verleugnung jedes Gewands.

Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft

seine süßesten Namen herüber;

plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.

 

Dennoch, wir wissen ihn nicht zu nennen, wir raten …

Und Erinnerung geht zu ihm über,

die wir von rufbaren Stunden erbaten.

 

VII

Blumen, ihr schließlich den ordnenden Händen verwandte,

(Händen der Mädchen von einst und jetzt),

die auf dem Gartentisch oft von Kante zu Kante

lagen, ermattet und sanft verletzt,

wartend des Wassers, das sie noch einmal erhole

aus dem begonnenen Tod —, und nun

wieder erhobene zwischen die strömenden Pole

fühlender Finger, die wohlzutun

mehr noch vermögen, als ihr ahntet, ihr leichten,

wenn ihr euch wiederfandet im Krug,

langsam erkühlend und Warmes der Mädchen, wie Beichten,

von euch gebend, wie trübe ermüdende Sünden,

die das Gepflücktsein beging, als Bezug

wieder zu ihnen, die sich euch blühend verbünden.

 

 

VIII

Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen

in den zerstreuten Gärten der Stadt:

wie wir uns fanden und uns zögernd gefielen

und, wie das Lamm mit dem redenden Blatt,

sprachen als Schweigende. Wenn wir uns einmal freuten,

keinem gehörte es. Wessen wars?

Und wie zergings unter allen den gehenden Leuten

und im Bangen des langen Jahrs.

Wagen umrollten uns fremd, vorübergezogen,

Häuser umstanden uns stark, aber unwahr, — und keines

kannte uns je. Was war wirklich im All?

Nichts. Nur die Bälle. Ihre herrlichen Bogen.

Auch nicht die Kinder … Aber manchmal trat eines,

ach ein vergehendes, unter den fallenden Ball.

(In memoriam Egon von Rilke)

 

IX

Rühmt euch, ihr Richtenden, nicht der entbehrlichen Folter

und daß das Eisen nicht länger an Hälsen sperrt.

Keins ist gesteigert, kein Herz —, weil ein gewollter

Krampf der Milde euch zarter verzerrt.

 

Was es durch Zeiten bekam, das schenkt das Schafott

wieder zurück, wie Kinder ihr Spielzeug vom vorig

alten Geburtstag. Ins reine, ins hohe, ins thorig

offene Herz träte er anders, der Gott

wirklicher Milde. Er käme gewaltig und griffe

strahlender um sich, wie Göttliche sind.

Mehr als ein Wind für die großen gesicherten Schiffe.

Weniger nicht, als die heimliche leise Gewahrung,

die uns im Innern schweigend gewinnt

wie ein still spielendes Kind aus unendlicher Paarung.

 

X

Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange

sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.

Daß nicht der herrlichen Hand schöneres Zögern mehr prange,

zu dem entschlossenern Bau schneidet sie steifer den Stein.

Nirgends bleibt sie zurück, daß wir ihr ein Mal entrönnen

und sie in stiller Fabrik ölend sich selber gehört.

Sie ist das Leben, — sie meint es am besten zu können,

die mit dem gleichen Entschluß ordnet und schafft und zerstört.

Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert

Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen

Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.

Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus …

Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen,

baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus.

 

XI

Manche, des Todes, entstand ruhig geordnete Regel,

weiterbezwingender Mensch, seit du im Jagen beharrst,

mehr doch als Falle und Netz, weiß ich dich, Streifen von Segel,

den man hinuntergehängt in den höhligen Karst.

Leise ließ man dich ein, als wärst du ein Zeichen,

Frieden zu feiern. Doch dann: rang dich am Rande der Knecht,

— und, aus den Höhlen, die Nacht warf eine Handvoll von bleichen

taumelnden Tauben ins Licht … Aber auch das ist im Recht.

Fern von dem Schauenden sei jeglicher Hauch des Bedauerns,

nicht nur vom Jäger allein, der, was sich zeitig erweist,

wachsam und handelnd vollzieht.

Töten ist eine Gestalt unseres wandernden Trauerns …

Rein ist im heiteren Geist,

was an uns selber geschieht.

 

 

XII

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,

drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;

jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,

liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.

Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;

wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?

Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.

Wehe —: abwesender Hammer holt aus!

Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;

und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,

das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.

Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,

den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne

will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.

 

XIII

Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter

dir, wie der Winter, der eben geht.

Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,

daß, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

 

Sei immer tot in Eurydike —, singender steige,

preisender steige zurück in den reinen Bezug.

Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,

sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

Sei — und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,

den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,

daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.

Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen

Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,

zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

 

XIV

Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen,

denen wir Schicksal vom Rande des Schicksals leihn, —

aber wer weiß es! Wenn sie ihr Welken bereuen,

ist es an uns, ihre Reue zu sein.

Alles will schweben. Da gehn wir umher wie Beschwerer,

legen auf alles uns selbst, vom Gewichte entzückt;

o was sind wir den Dingen für zehrende Lehrer,

weil ihnen ewige Kindheit glückt.

Nähme sie einer ins innige Schlafen und schliefe

tief mit den Dingen —: o wie käme er leicht,

anders zum anderen Tag, aus der gemeinsamen Tiefe.

 

Oder er bliebe vielleicht; und sie blühten und priesen

ihn, den Bekehrten, der nun den Ihrigen gleicht,

allen den stillen Geschwistern im Winde der Wiesen.

 

XV

O Brunnen-Mund, du gebender, du Mund,

der unerschöpflich Eines, Reines, spricht, —

du, vor des Wassers fließendem Gesicht,

marmorne Maske. Und im Hintergrund

der Aquädukte Herkunft. Weither an

Gräbern vorbei, vom Hang des Apennins

tragen sie dir dein Sagen zu, das dann

am schwarzen Altern deines Kinns

vorüberfällt in das Gefäß davor.

Dies ist das schlafend hingelegte Ohr,

das Marmorohr, in das du immer sprichst.

Ein Ohr der Erde. Nur mit sich allein

redet sie also. Schiebt ein Krug sich ein,

so scheint es ihr, daß du sie unterbrichst.

 

XVI

Immer wieder von uns aufgerissen,

ist der Gott die Stelle, welche heilt.

Wir sind Scharfe, denn wir wollen wissen,

aber er ist heiter und verteilt.

Selbst die reine, die geweihte Spende

nimmt er anders nicht in seine Welt,

als indem er sich dem freien Ende

unbewegt entgegenstellt.

Nur der Tote trinkt

aus der hier von uns gehörten Quelle,

wenn der Gott ihm schweigend winkt, dem Toten.

Uns wird nur das Lärmen angeboten.

Und das Lamm erbittet seine Schelle

aus dem stilleren Instinkt.

 

XVII

Wo, in welchen immer selig bewässerten Gärten, an welchen

Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen

reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese

köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese

deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male

wunderst du dich über die Größe der Frucht,

über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,

und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht

 

unten des Wurms. Giebt es denn Bäume, von Engeln beflogen,

und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,

daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören?

Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,

durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen

jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?

 

XVIII

Tänzerin: o du Verlegung

alles Vergehens in Gang: wie brachtest du’s dar.

Und der Wirbel am Schluß, dieser Baum aus Bewegung,

nahm er nicht ganz in Besitz das erschwungene Jahr?

Blühte nicht, daß ihn dein Schwingen von vorhin umschwärme,

plötzlich sein Wipfel von Stille? Und über ihr,

war sie nicht Sonne, war sie nicht Sommer, die Wärme,

diese unzählige Wärme aus dir?

Aber er trug auch, er trug, dein Baum der Ekstase.

Sind sie nicht seine ruhigen Früchte: der Krug,

reifend gestreift, und die gereiftere Vase?

Und in den Bildern: ist nicht die Zeichnung geblieben,

die deiner Braue dunkler Zug

rasch an die Wandung der eigenen Wendung geschrieben?

XIX

Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank

und mit Tausenden tut es vertraulich. Doch jener

Blinde, der Bettler, ist selbst dem kupfernen Zehner

wie ein verlorener Ort, wie das staubige Eck unterm Schrank.

In den Geschäften entlang ist das Geld wie zuhause

und verkleidet sich scheinbar in Seide, Nelken und Pelz.

Er, der Schweigende, steht in der Atempause

alles des wach oder schlafend atmenden Gelds.

O wie mag sie sich schließen bei Nacht, diese immer offene Hand.

Morgen holt sie das Schicksal wieder, und täglich

hält es sie hin: hell, elend, unendlich zerstörbar.

Daß doch einer, ein Schauender, endlich ihren langen Bestand

staunend begriffe und rühmte. Nur dem Aufsingenden säglich.

Nur dem Göttlichen hörbar.

 

 

XX

Zwischen den Sternen, wie weit; und doch, um wievieles noch weiter,

was man am Hiesigen lernt.

Einer, zum Beispiel, ein Kind … und ein Nächster, ein Zweiter —,

o wie unfaßlich entfernt.

Schicksal, es mißt uns vielleicht mit des Seienden Spanne,

daß es uns fremd erscheint;

denk, wieviel Spannen allein vom Mädchen zum Manne,

wenn es ihn meidet und meint.

Alles ist weit —, und nirgends schließt sich der Kreis.

Sieh in der Schüssel, auf heiter bereitetem Tische,

seltsam der Fische Gesicht.

Fische sind stumm …, meinte man einmal. Wer weiß?

Aber ist nicht am Ende ein Ort, wo man das, was der Fische

Sprache wäre, ohne sie spricht?

 

XXI

Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst; wie in Glas

eingegossene Gärten, klar, unerreichbar.

Wasser und Rosen von Ispahan oder Schiras,

singe sie selig, preise sie, keinem vergleichbar.

 

Zeige, mein Herz, daß du sie niemals entbehrst.

Daß sie dich meinen, ihre reifenden Feigen.

Daß du mit ihren, zwischen den blühenden Zweigen

wie zum Gesicht gesteigerten Lüften verkehrst.

Meide den Irrtum, daß es Entbehrungen gebe

für den geschehnen Entschluß, diesen: zu sein!

Seidener Faden, kamst du hinein ins Gewebe.

Welchem der Bilder du auch im Innern geeint bist

(sei es selbst ein Moment aus dem Leben der Pein),

fühl, daß der ganze, der rühmliche Teppich gemeint ist.

 

XXII

O trotz Schicksal: die herrlichen Überflüsse

unseres Daseins, in Parken übergeschäumt, —

oder als steinerne Männer neben die Schlüsse

hoher Portale, unter Balkone gebäumt!

O die eherne Glocke, die ihre Keule

täglich wider den stumpfen Alltag hebt.

Oder die eine, in Karnak, die Säule, die Säule,

die fast ewige Tempel überlebt.

Heute stürzen die Überschüsse, dieselben,

nur noch als Eile vorbei, aus dem waagrechten gelben

Tag in die blendend mit Licht übertriebene Nacht.

Aber das Rasen zergeht und läßt keine Spuren.

Kurven des Flugs durch die Luft und die, die sie fuhren,

keine vielleicht ist umsonst. Doch nur wie gedacht.

 

XXIII

Rufe mich zu jener deiner Stunden,

die dir unaufhörlich widersteht:

flehend nah wie das Gesicht von Hunden,

aber immer wieder weggedreht,

wenn du meinst, sie endlich zu erfassen.

So Entzognes ist am meisten dein.

Wir sind frei. Wir wurden dort entlassen,

wo wir meinten, erst begrüßt zu sein.

Bang verlangen wir nach einem Halte,

wir zu Jungen manchmal für das Alte

und zu alt für das, was niemals war.

Wir, gerecht nur, wo wir dennoch preisen,

weil wir, ach, der Ast sind und das Eisen

und das Süße reifender Gefahr.

 

 

XXIV

O diese Lust, immer neu, aus gelockertem Lehm!

Niemand beinah hat den frühesten Wagern geholfen.

Städte entstanden trotzdem an beseligten Golfen,

Wasser und Öl füllten die Krüge trotzdem.

Götter, wir planen sie erst in erkühnten Entwürfen,

die uns das mürrische Schicksal wieder zerstört.

Aber sie sind die Unsterblichen. Sehet, wir dürfen

jenen erhorchen, der uns am Ende erhört.

Wir, ein Geschlecht durch Jahrtausende: Mütter und Väter,

immer erfüllter von dem künftigen Kind,

daß es uns einst, übersteigend, erschüttere, später.

Wir, wir unendlich Gewagten, was haben wir Zeit!

Und nur der schweigsame Tod, der weiß, was wir sind

und was er immer gewinnt, wenn er uns leiht.

 

XXV

Schon, horch, hörst du der ersten Harken

Arbeit; wieder den menschlichen Takt

in der verhaltenen Stille der starken

Vorfrühlingserde. Unabgeschmackt

scheint dir das Kommende. Jenes so oft

dir schon Gekommene scheint dir zu kommen

wieder wie Neues. Immer erhofft,

nahmst du es niemals. Es hat dich genommen.

Selbst die Blätter durchwinterter Eichen

scheinen im Abend ein künftiges Braun.

Manchmal geben sich Lüfte ein Zeichen.

Schwarz sind die Sträucher. Doch Haufen von Dünger

lagern als satteres Schwarz in den Aun.

Jede Stunde, die hingeht, wird jünger.

 

XXVI

Wie ergreift uns der Vogelschrei …

Irgendein einmal erschaffenes Schreien.

Aber die Kinder schon, spielend im Freien,

schreien an wirklichen Schreien vorbei.

Schreien den Zufall. In Zwischenräume

dieses, des Weltraums, (in welchen der heile

Vogelschrei eingeht, wie Menschen in Träume —)

treiben sie ihre, des Kreischens, Keile.

Wehe, wo sind wir? Immer noch freier,

wie die losgerissenen Drachen

jagen wir halbhoch, mit Rändern von Lachen,

windig zerfetzten. — Ordne die Schreier,

singender Gott! daß sie rauschend erwachen,

tragend als Strömung das Haupt und die Leier.

 

 

XXVII

Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?

Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg?

Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende,

wann vergewaltigts der Demiurg?

Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,

wie das Schicksal uns wahr machen will?

Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche,

in den Wurzeln — später — still?

Ach, das Gespenst des Vergänglichen,

durch den arglos Empfänglichen

geht es, als wär es ein Rauch.

Als die, die wir sind, als die Treibenden,

gelten wir doch bei bleibenden

Kräften als göttlicher Brauch.

 

XXVIII

O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze

für einen Augenblick die Tanzfigur

zum reinen Sternbild einer jener Tänze,

darin wir die dumpf ordnende Natur

vergänglich übertreffen. Denn sie regte

sich völlig hörend nur, da Orpheus sang.

Du warst noch die von damals her Bewegte

und leicht befremdet, wenn ein Baum sich lang

besann, mit dir nach dem Gehör zu gehn.

Du wußtest noch die Stelle, wo die Leier

sich tönend hob —; die unerhörte Mitte.

Für sie versuchtest du die schönen Schritte

und hofftest, einmal zu der heilen Feier

des Freundes Gang und Antlitz hinzudrehn.

 

XXIX

Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,

wie dein Atem noch den Raum vermehrt.

Im Gebälk der finstern Glockenstühle

laß dich läuten. Das, was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.

Geh in der Verwandlung aus und ein.

Was ist deine leidendste Erfahrung?

Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

Sei in dieser Nacht aus Übermaß

Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,

ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,

zu der stillen Erde sag: Ich rinne.

Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.