PERSONEN:
Der Tod
Das kleine Mädchen
Ein Totengräber
Gestalten der Gedanken
Engel.
ORT DER HANDLUNG:
Ein Dorffriedhof und das Krankenzimmer des kleinen Mädchens.
Die Uraufführung hat 1922 am Stadttheater in Rostock stattgefunden.
(Ein Dorffriedhof. Es ist gegen Abend. Der Totengräber gräbt ein Grab, neben ihm steht das kleine Mädchen und sieht zu.)
DER TOTENGRÄBER:
(singt)
Spaten ein und Spaten aus, jedem baue ich sein Haus. Sechs Fuß
tief und breit zwei Schuh, alle gehn darin zur Ruh. Arm und Reich und Groß
und Klein, alle ziehen darin ein, heute, morgen - oder wann - du und ich
und jedermann.
Nun, kleine Dirn, was guckst du? Für dich ist's noch lange Zeit
bis zum Grabe.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Am Ende ist es meines, das du gräbst?
DER TOTENGRÄBER:
Frag nicht so dumm. Geh lieber ins Dorf mit den anderen Kindern spielen.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
(schüttelt den Kopf)
Es spielt niemand mit mir.
DER TOTENGRÄBER:
Du bist halt ein sonderbares Kind. Sonst würden die anderen schon
mit dir spielen. Wenn ich nur wüßte, was du immer hier auf dem
Friedhof suchst.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Es ist so schön still hier. Es muß auch ganz still sein,
damit meine Gedanken wieder zu mir zum Besuch kommen können.
DER TOTENGRÄBER:
So, so, deine Gedanken kommen zu dir zum Besuch. Was du nicht sagst!
Ich bin froh, wenn keine Gedanken zu mir zum Besuch kommen.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Die Gedanken sind doch so schön.
DER TOTENGRÄBER:
Wie man's nimmt. Sei froh, wenn deine Gedanken schön sind. Aber
warum bleibst du nicht im Dorf? Sind die Gedanken denn hier schöner
als auf dem Dorfe ?
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Im Dorf ist es zu laut für sie und man versteht nicht gut, was
sie sagen, denn sie reden ja ohne Worte.
DER TOTENGRÄBER:
Das ist ja sehr sonderbar. Nun, dann bleibe nur hier und laß
dich von deinen Gedanken unterhalten.
(Er wirft den Spaten über die Schulter, nickt dem kleinen Mädchen
zu und geht singend ab.)
Heute, morgen - oder wann - du und ich und jedermann .....
(Das kleine Mädchen setzt sich auf ein Grab. Eine leise Musik
beginnt.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Es singt so sonderbar in der Luft. Nun werden meine Gedanken gleich
kommen, ich freue mich sehr auf sie.
(Die Gestalten der Gedanken erscheinen lautlos aus dem Vorhang im Hintergrund:
eine alte Frau im grauen Gewand, ein Mädchen in rosenfarbenem, ein
Mann in rotem Schellenkleid und ein Mädchen in blauem Gewande.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Ach, das ist der traurige in den grauen Kleidern, der kommt immer zuerst,
wenn man den Lärm und die Dorfgassen noch nicht vergessen hat. Aber
da ist der frohe, der rosenfarbene mit den hübschen goldenen Sternen
drauf. Jetzt wird es gleich ganz lustig, denn nun kommt der rote, der so
komische Fratzen macht. Ach ja, und das ist der blaue, der von den fernen
Märchenländern erzählt, das ist immer so sehr schön.
Aber nun will ich still sein und hören, was meine Gedanken heute wieder
sagen werden.
(Die Gestalten der Gedanken treten, einer nach dem anderen, etwas vor,
bewegen sich eine kurze Weile vor dem kleinen Mädchen unter Begleitung
einer entsprechenden Musik und verschwinden dann schemenhaft im Vorhang.
Wie der letzte Gedanke gegangen ist, kommt der Tod als hohe Gestalt im
schwarzen Gewand, mit einem Stern im Haar, durch die Gräber geschritten
und auf das kleine Mädchen zu. Die Musik verstummt.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
(erstaunt)
Bist du auch ein Gedanke? Aber du bist so sehr viel größer
als die Gedanken, die mich sonst besuchen, und du bist so schön, wie
keiner von meinen vielen Gedanken jemals war.
(Der Tod setzt sich zu dem kleinen Mädchen aufs Grab.)
DER TOD:
Du fragst ein bißchen viel auf einmal. Ich bin wohl ein Gedanke
und doch wieder auch etwas mehr. Es ist für mich gar nicht so leicht,
dir das zu erklären. Sonst täte ich es gewiß gerne.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Bemühe dich nicht meinetwegen. Ich brauche dich gar nicht zu verstehen,
es ist auch sehr schön, dich bloß anzusehen. Aber ich möchte
gerne wissen, wie du heißt. Meine Gedanken sagen mir immer alle,
wie sie heißen, und das ist sehr lustig.
DER TOD:
(freundlich)
Ich bin der Tod, mein Kind.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
(sieht den Tod lange und aufmerksam an.)
Du hast so schöne und gute Augen. Solche Augen habe ich noch nicht
gesehn. Man muß Vertrauen zu dir haben, wenn man dir in die Augen
sieht.
Weißt du, es ist so komisch, daß alle Menschen Angst haben,
wenn sie von dir sprechen, wo du so nett bist. Ich möchte gerne mit
dir spielen. Es spielt sonst niemand mit mir.
DER TOD:
Ja, wir wollen zusammen spielen, wie zwei Kinder miteinander spielen,
mitten unter den Gräbern auf dem Friedhof.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Wir wollen Himmel und Erde bauen. Hoffentlich verstehst du es auch.
Wir machen den Himmel aus den hellen Kieseln und die Erde aus den dunkeln.
Ich werde dir fleißig Steine suchen.
(Sie sucht Steine zwischen den Gräbern und beginnt zu spielen.)
Jetzt haben wir genug. Ich finde, daß du sehr schön spielen
kannst. Willst du nun den Himmel bauen und ich die Erde, oder umgekehrt?
Mir ist es einerlei. Du kannst dir aussuchen, was dir mehr Spaß macht.
Ich erlaube es dir.
DER TOD:
Ich danke dir sehr. Aber, siehst du, ich bin kein Kind mehr und verstehe
nicht mehr so zu bauen, wie man das als Kind versteht. Du bist ja noch
ein Kind und ich denke, du baust dir deinen Himmel und deine Erde selber.
Aber ich will dir bei beidem helfen.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Das ist nett von dir. Nun bau ich mir meinen Himmel und meine Erde
aus bunten Kieselsteinen und du hilfst mir dabei. - Jetzt paß auf:
hier ist der Himmel und drin wohnt der liebe Gott und hier ist die Erde
und da wohne ich. Nun mußt du auch noch eine Wohnung haben. Aber
ich weiß ja noch gar nicht, wo du wohnst?
DER TOD:
Ich wohne zwischen Himmel und Erde, denn ich muß ja die Menschenseelen
von der Erde zum Himmel führen.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Richtig. Dann kriegst du eine Wohnung aus hellen und dunklen Steinen
zusammen. Es soll eine feine Wohnung werden, du wirst schon sehen.
DER TOD:
Ich freue mich sehr, daß du mir eine Wohnung baust.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Höre mal, du hast doch eben gesagt, daß du die Menschenseelen
von der Erde zum Himmel führst. Erzähle mir mal ein bißchen
davon, wie du das machst - und warum müssen wir überhaupt sterben?
Kann man denn nicht einfach in den Himmel ėrüberlaufen ?
(Ferne tiefe Glocken läuten Feierabend.)
DER TOD:
Hörst du die Glocken Feierabend läuten ? Siehst du, mit den
Menschenseelen ist das ganz ähnlich wie mit den Glocken. Jede Menschenseele
ist eine Glocke und du hörst sie läuten, wenn du ordentlich
aufpaßt, in frohen und traurigen Stunden. Bei manchen läutet
sie nur noch ganz schwach und das ist dann freilich sehr schlimm. Wenn
ich nun zu einem Menschen komme, dann läutet seine Glockenseele Feierabend.
Die Glocke wird in den Himmel gehängt und dort läutet sie dann
weiter.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Läuten sie denn da alle durcheinander? Das muß gar nicht
schön klingen, denn jede läutet doch sicher ganz anders. Es ist
gewiß nicht angenehm für den lieben Gott, sich das immer anhören
zu müssen.
DER TOD:
Das ist schon wahr, aber siehst du, die Glockenseelen kommen so oft
auf die Erde zurück und werden so lange umgegossen, bis sie alle ihr
eigenes richtiges Geläute haben und alle zusammenklingen. So lange
aber muß ich die Menschen von der Erde zum Himmel tragen.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Das tut mir sehr leid für dich, es ist gewiß eine sehr mühsame
Arbeit. Aber paß nur auf, es wird schon mal besser werden und dann
hast du gar nichts mehr zu tun und wir beide spielen immer so nett zusammen
wie heute. Warum machst du so ein trauriges Gesicht?
DER TOD:
(sieht über das kleine Mädchen hinweg ins Leere)
Ich sehe in eine sehr, sehr weite Ferne......
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Deine Wohnung ist jetzt fertig. Ist sie nicht sehr hübsch geworden?
DER TOD:
Sie ist sehr hübsch, ich danke dir auch. Aber es ist spät
und du mußt jetzt nach Hause gehen. Es war schön mit dir zu
spielen.
(Er reicht dem kleinen Mädchen die Hand.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
(knickst)
Guten Abend. Kommst du nicht auch einmal, mich besuchen? Ich bin so
viel allein.
DER TOD:
Ja, ich werde dich sehr bald besuchen, weil du so allein bist?
(Vorhang)
(Krankenzimmer des kleinen Mädchens. Dämmerlicht, eine Kerze brennt neben dem Bett, in dem das kleine Mädchen liegt. Im Hintergrund der Szene ein violetter Vorhang. Ferne tiefe Glocken läuten Feierabend, der Tod tritt leise ein.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Das ist nett von dir, daß du mich besuchen kommst.
DER TOD:
(setzt sich zu dem kleinen Mädchen aufs Bett)
Es ist Feierabend.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Ach ja, davon hast du mir damals so schön erzählt, als wir
zusammen Himmel und Erde bauten. Dann kommst du gewiß, um meine Glockenseele
zu holen. Hoffentlich klingt sie aber auch hübsch, so daß sich
der liebe Gott nicht ärgert.
DER TOD:
Sie sehnen sich im Himmel nach einer reinen Glocke. Darum haben sie
mich gebeten, zu dir zu kommen.
(Das ferne Glockenläuten verstummt, Pause.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Muß ich dann sterben?
DER TOD:
Das brauchst du gar nicht so zu nennen. Siehst du, es ist ganz einfach:
an deiner Tür stehen zwei Engel und die fahren dich dann zum lieben
Gott in den Himmel.
DAS KLEINE MÄDCHEN
Ich kann aber die Engel nicht sehen.
DER TOD:
Ich werde dich mal auf den Arm nehmen, dann wirst du die Engel gleich
sehen.
(Leise Musik. Der Tod nimmt das kleine Mädchen auf die Arme. Der
Vorhang im Hintergrund teilt sich und man erblickt zwei Engel in
weißen Gewändern. Der Tod übergibt das kleine Mädchen
den Engeln, die es auf einigen Stufen in den Himmel führen, der durch
den geteilten Vorhang hindurch zu sehen und durch einfach gemalte Wolken
in rein kindlicher Darstellung abgegrenzt ist. Wie das kleine Mädchen
im Himmel ist, läutet seine Glockenseele mit einem feinen gläsernen
Ton. Der Tod geht langsam zum Bett des kleinen Mädchens und löscht
die Kerze aus, dann birgt er das Gesicht in den Händen.)
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Es ist so sehr schön im Himmel und ich freue mich, daß meine
Glockenseele so hübsch läutet. Es tut mir nur so leid, daß
der Tod unten bleiben muß.
(Sie beugt sich über die Brüstung oben und sieht zum Tod
herunter.)
Kannst du hören, wenn ich von oben ėrunterrufe?
DER TOD:
(nimmt die Hände vom Gesicht und sieht nach oben)
Ja - du brauchst auch nicht so laut zu rufen, denn für mich sind
Himmel und Erde so nahe beieinander, wie wir sie einmal zusammen aus Kieselsteinen
gebaut haben.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Das freut mich. Es ist bloß sehr schade, daß ich nicht
mehr mit dir spielen kann. Jetzt spielt niemand mehr mit dir. Sei bloß
nicht zu traurig drüber. Hörst du?
DER TOD:
Es war schön, daß du mit mir gespielt hast, und wenn ich
einmal traurig werde, dann höre ich oben deine Glockenseele läuten
und freue mich darüber, daß einmal ein Kind mit mir gespielt
hat.
DAS KLEINE MÄDCHEN:
Ja, tue das, und ich will dir auch etwas Wunderhübsches sagen,
was mir eben die großen Engel erzählt haben. Die großen
Engel sagen, daß einmal eine Zeit kommen wird, wo alle Glockenseelen
zusammenklingen und alle Menschen mit dem Tod wie die Kinder spielen werden!
(Der Bühnenvorhang schließt sich langsam. Die leise Musik
dauert noch etwas fort.)