DIE ABSTAMMUNG DES MENSCHEN
(Versuch einer transzendentalen Anthropologie)
Das Gravitationsgesetz - Newtons accent aigu auf die astronomische
Wissenschaft - ist anschauliches Gemeingut der Europäer
geworden; es gehört zu deren Weltbild und hat dort Wurzeln
geschlagen. Niemand kommt auf den Gedanken, daß ein fallender
Stein plötzlich aufhören könnte zu fallen, und die
Gebildeten wissen, daß sein Fallen und Nichtfallen des Mondes
dieselbe Sache sind; er kann nicht plötzlich stehen bleiben; man
weiß: das geht nicht. Kants transzendentale Logik aber, die
weit tiefer im Weltcharakter schürft, hat diese Stufe nicht
erreicht. Ihr ist der Übergang in den Bestand der anschaulichen
Welt nicht geglückt. Sie fristet ihr Dasein in Büchern, die
so schlecht geschrieben sind, daß nur die sie verstehen, die
selber schlecht schreiben. Und doch ist in ihr, wenn man sie
umwandelt und erweitert, vor allem aber, ihr perspektivischen Raum
gibt, ungeheure weltbildschaffende Kraft enthalten. Säße
sie so im Vorstellungsleben der Europäer fest wie das
Gravitationsgesetz: es wäre unmöglich, diesen
Europäern einen so gewaltigen Bären aufzubinden, wie es die
Lehre von der Abstammung des Menschen vom (spezifischen) Tier ist.
Man würde mit derselben Sicherheit sagen: das geht nicht! Unsere
Großväter sagten das auch; aber man hat sie mit Demagogie
mundtot gemacht.
Jene Sicherheit aber ist wirklich vorhanden, denn sie ist, wie die
des fallenden Steines, a priori und notwendig. Anders
ausgedrückt; es ist unmöglich, daß der Mensch
tierische Vorfahren habe und nach den Gesetzen von Anpassung und
Vererbung entstanden ist. Aus dem innersten Gehalte der
transzendentalen Logik heraus wird die Notwendigkeit seines eignen
Stammes bewiesen. Dabei spielen Biologie, vergleichende Anatomie und
Paläontologie nur die Rolle eines empirischen Weges, der
nebenbei beschritten werden kann. Diese Wissenschaften geben
großen Farbenreichtum her, aber sie bedürfen der
erleuchtenden Kraft der Philosophie.
1. DIE ENTWICKLUNGSLOSIGKEIT ZWISCHEN VERSTAND UND VERNUNFT
ALS TRANSZENDENTALER BELEG
Hier gibt es durchaus kein »vielleicht« und
»wahrscheinlich«; die transzendentale Logik verfügt
über zuverlässige Prüfsteine. Die von der
philosophierenden Biologie aufgebrachte Meinung geht bekanntlich
dahin, daß der Mensch, der ja Vernunft hat, diese von seinen
tierischen Vorfahren, bei denen man deutliche Anklänge davon
fände, auf dem Entwicklungswege allmählich erworben habe;
so also, daß auch die höchsten Leistungen der menschlichen
Vernunft nichts anderes seien als gesteigerte Phasen des tierischen
Intellektes. Man müsse nur lange Zeit genug zur Verfügung
haben, und das hat man ja. Demgegenüber ist zu sagen: das, was
beim Menschen, auch dem niedrigsten, »Vernunft«
heißt, kommt beim Tier, auch dem klügsten selbst nicht
andeutungsweise vor; denn Vernunft und Verstand stehen nicht im
möglichen Entwicklungsverhältnis zueinander, sondern in dem
zweier Aggregatzustände. Das Tier hat niemals Vernunft, wohl
aber Verstand; der Mensch hat immer beides. Der Verstand ist
»das allgemeine Merkmal der Tierheit« (SCHOPENHAUER), zu
der auch der Mensch gehört; er ist der intellektuelle Faktor der
anschaulichen Welt, die dem Tiere allein zugänglich ist und
vermöge dessen diese verstanden wird. Vernunft aber ist sein
alleiniges Merkmal; sie ist der intellektuelle Faktor der gedachten
Welt, die durch sie begriffen wird; sie ist stets mit
Bewußtsein ihrer selbst und mit Sprache verbunden. Ein
Beispiel: meine Ziege bemerkt, daß sie den Rest von Tränke
im Eimer mit der Schnauze nicht erreichen kann, weil er zu tief ist;
»infolgedessen« stößt sie ihn um, die
Tränke fließt heraus, und nun kann sie saufen. Dieses
»infolgedessen« ist aber kein Ergebnis vernünftiger
Überlegung, sondern ein Verstandesschluß, der immer nur in
Gegenwart der anschaulichen Welt einsetzt. Wenn der Eimer nicht
dasteht, so weiß sie nichts davon; wird ihr am nächsten
Tag ein neuer gebracht, so handelt sie wieder so, weil ein
gleichfalls unbewußtes Gedächtnis die Erinnerungsspuren
aufbewahrt hat. Das alles aber hat mit Vernunft nicht das mindeste zu
tun, und es gibt keine Brücke zu ihr; wäre das doch so,
dann müßte das Tier zu sprechen beginnen und könnte
sagen, wie es heißt. Diese Fesselung an die anschauliche Welt
ist das charakteristische Merkmal des Verstandes, und genau so und
nicht anders ist er auch beim Menschen gebaut. Nur wird er hier
dauernd durch die ihn ständig umlagernde Vernunft beunruhigt, so
daß jener ständige Wechsel von Anschauung und Begriff,
Kategorie und Denkgesetz auftritt. Man könnte jenen hohen
Klugheitsleistungen der Tiere, wie man sie oft bei Hunden, Elefanten
und Pferden beobachtet und die den Anschein von Vorstufen der
Vernunft erwecken, Protuberanzen des Verstandes nennen. Aber sie
haben mit der Vernunft nichts zu tun, außer daß sie, wie
jene, Intellekt sind. Ein anderes Beispiel: jene schon erwähnten
Affen, die mit Steinen werfen können und immer treffen. Gesetzt
einmal den Fall, es befände sich unter ihnen ein Individuum, das
dies heimlich doch mit der Vernunft oder einer »Vorstufe«
von ihr täte, so hätte dieses Exemplar gegenüber den
anderen nicht etwa einen Vorteil im Kampf ums Dasein, den es zu
vererben vermöchte - wie das so darwinistisch geht -, sondern im
Gegenteil: durch die Vernunft könnte das armselig dekadente
Wesen denken, daß es mit seinem Steine nicht trifft; dieser
tödliche Gedanke würde das Tier verwirren, und es
hätte damit jenen Nachteil im Kampf ums Dasein, der bald zu
seiner Ausmerzung führen würde. Die Vernunft ist beim Tier
ein lebenhinderndes Moment. Der Steinwurf aber des niedrigsten
menschlichen Individuums ist ein gänzlich anderer Akt, durch die
Einheit von Verstand und Vernunft geleitet; der Mensch zielt, und das
ist ein Ausgleichsvorgang zwischen den beiden Aggregatzuständen
des Intellektes, auf dem sein ganzes Leben beruht. Im Archetypus des
Menschen ist die Vernunft samt ihrem Anpassungsradius vorgesehen. Das
Tier ginge an ihr zugrunde, der Mensch kann sie gerade eben
ertragen.
Wer also behaupten will, daß je ein Mensch sich aus einem
andern Tier »entwickelt« habe, daß er von ihm
abstamme, der müßte beweisen, daß es zwischen dem
Apfel der anschaulichen Welt und dem begrifflich gedachten einen
Entwicklungsvorgang gibt, also Zwischenglieder. Die später zu
behandelnden »Schemata« der empirischen Dinge, die solche
Zwischengebilde sind, spielen hier nicht mit hinein, da sie nur im
Dienste der Entdeckungsakte vorkommen, nicht aber bei der
gewöhnlichen Abstraktion. Ebenso müßte er
Zwischenglieder zwischen der Kategorie der Kausalität, die im
Verstande ruht und die alle Tierheit benutzt, und dem Denkgesetz des
Satzes vom Grunde aufweisen, der nur der Vernunft angehört.
Beide aber, der empirische Begriff sowohl wie das Denkgesetz,
entstehen plötzlich durch den Akt der Abstraktion, den niemals
ein Tier vollzieht, und ohne Übergang. Dies ist ein vollgiltiger
Beweis dafür, daß der Mensch keine tierischen Vorfahren
hat, sondern eine Art für sich ist. Daher ist es nicht etwa
Glaubenssache, wenn wir zu dem Ergebnis kommen: der biblische Bericht
mit der selbständigen Schöpfung des Menschen befindet sich
im Recht gegenüber den darwinistischen Behauptungen, sondern das
kann man beweisen. Dadurch wird man gewiß nicht etwa
religiöser, aber man irrt sich doch immerhin in einer
lebenswichtigen Frage nicht.
Eine »Entwicklung« also der Vernunft aus dem Verstande in
dem Sinne, wie wir von einer Entwicklung des Einhufes aus dem
fünfzehigen Fuß des Pferdes sprechen, und zwar mit Recht,
eine solche Entwicklung gibt es nicht. Die Vernunft kann nur aus dem
Verstande plötzlich entspringen wie der Quell aus dem
Waldgrunde, gemäß dem plötzlichen und sofort
gelingenden Akte der Abstraktion. Und wir haben sehr triftige
Gründe, anzunehmen, daß dies nur einmal - einmal - dem
ganzen Menschengeschlechte widerfahren ist, so daß es als ein
Schicksal auf es herabkam, nicht aber als
»Entwicklungsstadium«. Wäre es nur dieses - kein Grad
von Anpassungsfähigkeit wäre imstande gewesen, die
gänzliche Veränderung der inneren Situation zur
Außenwelt in ihren Folgen abzufangen. Das Menschengeschlecht
wäre einfach zugrunde gegangen, wenn nämlich die Natur nach
den Gesetzen verliefe, wie Lamarck und Darwin sie dachten. Sie hat
aber im Archetypus des Menschen eine Widerstandsreserve
bereitgehalten, die gerade eben hält. - Das Menschengeschlecht
wird also von zwei ganz verschiedenen, einander nicht
berührenden Groß-Vorgängen der Natur bewegt: dem
metaphysischen Schicksal, das seine Wurzeln in reinen Ereignissen hat
und aus der Tiefe der Natur stammt, ferner der biogenetischen
Entwicklung, die durch zwei Faktoren bewirkt wird: den Archetypus und
die Anpassung an die Umwelt. Dieses spielt sich empirisch ab nur eben
mit Ausnahme des Archetypisch-Wesentlichen.
Wer diese beiden Gebiete miteinander verwechselt, dessen
»Wissenschaft« schießt ganz unsinnig ins Kraut; wer
das erste, Schicksalhafte ausläßt, und nur vom weiten,
Biologischen, redet, der bleibt zwar allemal sauber - er darf nur
nicht vergessen, es wieder einzuschalten, wenn er eines Tages
anfängt »vom Menschen« zu reden. Der ganze
populäre Enthusiasmus für die Abstammungslehre vom
spezifischen Tier beruht ja auf dieser vergessenen
Wiedereinschaltung. Der große LAMARCK tat das niemals.
»Wäre« (sic!) - so schreibt er - »der Mensch nur
hinsichtlich seiner Organisation von den Tieren unterschieden,
so« ... usw. In diesem »wäre« - einem Irrealis -
liegt alles das, was die turbulente Entwicklungslehre des neunzehnten
Jahrhunderts übersehen hat. Der Herausgeber eines
Lamarck-Breviariums, KÜHNER (Diederichs), schreibt hierzu sehr
schön in der Anmerkung Seite 113: »Wo auch Lamarck in
seiner Systematik vom Menschen spricht, tut er es immer mit dieser
Einschränkung (von mir gesperrt), die deutlich besagt, daß
er ihm höhere (ethische, soziale) Eigenschaften zuspricht, die
eine zoologische Einreihung nicht zulassen. Hier ist das Reservat
seiner stillen Frömmigkeit, das er nur dem ÇAuteur
suprèmeë gegenüber verantwortet und das für ihn
außerhalb seiner Wissenschaft steht.« - Von Darwin an geht
die Sache dann holterdiepolter drauflos und das dünnste aller
Jahrhunderte, das neunzehnte, ist vollkommen davon überzeugt,
daß es zwischen »dem« Menschen und dem Tier keine
wesentlichen Unterscheidungsmerkmale gibt.
Das Schicksal aber, das die Menschheit getroffen hat, und wovon sie
noch in unverminderter Stärke fortzittert, ist die
plötzliche Trennung von Verstand und Vernunft als Vorgang. Er
ist zugleich transzendental und biologisch, daher seine
unwiderstehliche Macht. Zweifellos hat einmal das Menschengeschlecht
sich in einem Zustande befunden, in dem die beiden heute so deutlich
getrennten Aggregatzustände des Intellektes eine Einheit
bildeten. Als Dauerzustand ist uns das heute nur schwer vorstellbar,
weil es ja derselbe Intellekt ist, der, im Zustande der Entzweiung,
von seiner Einheit reden muß. Zudem ist uns die ewig
flimmernde, beunruhigende, ansterregende Tätigkeit der Vernunft
eine durch Tausende von Generationen eingefleischte Gewohnheit
geworden. Allein wir haben für die gelegentliche Wirksamkeit
dieser Einheit einen lebendigen und deutlich betonenden Zeugen, ein
Restgebilde aus jener Zeit, und zwar ist das der geniale Prozeß
in der Menschheit, der ja nie ganz abbricht und sich, vertreten meist
durch den Einzel-Genius, in ihrer genialen Zone abspielt. Wenn man
die Zeugnisse der Entdeckungsakte beachtet, so findet man stets ein
momentanes Zusammenschlagen von Verstand und Vernunft, indem beide
plötzlich das höchste hergeben, was überhaupt in ihnen
ist. Wir finden eine unerhört gesteigerte Anschaulichkeit, die
sich am empirischen Gegenstande entzündet, ein Aufrücken in
die mythische Sphäre der Erkenntnis, zu gleicher Zeit aber
erlebt die Vernunft ihr höchstes Abstraktionsvermögen,
indem sie das Gesetz sozusagen vom Himmel reißt. Das alles aber
geschieht durch den Geist, und hier allein ist er an seinem Platze.
Die Philosophie darf sich in Zukunft nicht mehr dazu hergeben, dieses
Wort (pneuma), das eine so präzise und gar nicht anders zu
lokalisierende Bedeutung hat, anzubringen, wo es ihr beliebt. Der
ärgste Mißbrauch, der damit getrieben wird, ist der
Ausdruck »Menschengeist«. Der Mensch hat keinen Geist.
Jedenfalls ist er nicht Eigentümer des Geistes, so wenig, wie er
in der Ethik Eigentümer der Güte ist. Der Mensch
schlechthin hat nur Intellekt in seinen beiden
Aggregatzuständen; im Genie bricht vom Objekt her Geist ein und
bemächtigt sich für kurze Zeit, Gedächtnisspuren
hinterlassend, des Einzelnen. Die Bewegung aber, die hier vor sich
geht, hat Stromrichtung stets vom Objekt her zum Subjekt, nie
umgekehrt. Die Natur arbeitet so und nicht anders. Da nun die ganze
geniale Zone der Menschheit dauernd in Tätigkeit ist, so braucht
man sonst in der Verwendung des Wortes Geist nicht unnötig
sparsam zu sein, und kann leichthin von geistigen Menschen sprechen;
worauf es ankommt, ist nur, die Richtung jenes Wehens (pneuma) nicht
zu verfehlen, und damit den Eigentumsgrund. Das Subjekt ist zu
schwach, um Geist aus sich heraus zu erzeugen; denn zeugen kann nur
die Natur.
Betrachtet man diesen Gelegenheitsvorgang im Menschen als ein
Überbleibsel aus einem früheren Gesamtzustand, so wird man
genötigt, diesen als den weitaus höheren und
glücklicheren zu betrachten und ihm den Namen des paradiesischen
zu geben. Wir wissen aus den Biographien der Genien, daß sie
die Tage und Augenblicke, in denen ihnen der große Wurf gelang,
für die glücklichsten ihres Lebens erachteten, ja oft
für die einzig glücklichen; nur um ihretwillen, so meinen
sie durchweg, lohnt sich das Leben. Denn in der Tat: »Wo sich
Subjekt und Objekt berühren, da ist Leben« (GOETHE). Der
Paradieszustand aber ist der, in welchem der Geist, der dieses
Berührung trägt, stets gegenwärtig ist. Er wird
beendet durch den Biß in den Apfel, also plötzlich, und
dessen Sinn ist »zu wissen, was Gut und Böse ist«, und
zu erkennen, daß man nackt ist. Das aber heißt: die
Vernunft reißt sich los, und der Mensch wird von diesem
Augenblick an dem denkbaren Mißgelingen seiner Werke
preisgegeben; »Verflucht sei dein Acker; Dornen und Disteln soll
er tragen.« Dieses Mißlingen heißt Àmartia,
»Fehlgriff«, und wird gewöhnlich mit Sünde
übersetzt. Von hier aus gesehen - und zu diesem Blick muß
man kommen - stellt sich die gesamte Geschichte der Menschheit als
das reine Gegenteil von einer Entwicklung nach oben dar; vielmehr als
ein Fall. Die Menschheit kommt herab. So denken alle großen
Jahrhunderte, alle Religionen, auch die Antike, und am
schärfsten hat es das Buch Genesis erfaßt, das an echtem
Tiefsinn gar nicht zu überbieten ist. Doch wir wollen das Gebiet
der objektiven Theologie, das hier unmittelbar vor der Tür
liegt, jetzt nicht betreten. Die Religionen haben jedenfalls durchweg
die Aufgabe, zu heilen; sie sollen diesem nachparadiesischen Zustande
der Menschheit, der durch die abtrünnige Vernunft verursacht
ist, entgegenwirken. Da nun die Vertreibung aus dem Paradiese ein
wirklicher Vorgang ist, so müssen es auch die Religionen sein,
welche die Rückverbindung (religio) wiederherstellen und
keineswegs etwa Erfindungen des »Menschengeistes« sind -
dessen einzige Entschuldigung wäre, daß es ihn nicht
gibt.
Das Menschengeschlecht ist seinem Wesen nach metaphysisch offen und
hat daher ein Schicksal. Sein Intellekt, ständig vom Geiste
bedroht, liegt im Polgebiet der Achse der Natur. Hier drängt
sich folgendes Bild auf: Die Eskimos wohnen am Nordpol der Erdachse -
ohne es zu wissen. Das Menschengeschlecht wohnt am subjektiven Pol
der Naturachse - ohne es zu wissen. Nimmt ein Polarforscher einen
Eskimo mit und klärt in auf, was seine Reise zu bedeuten habe,
so weiß dieser auf einmal, daß die Erde eine Achse hat
und sich dreht; er kehrt als rechter Pfiffikus zu seinem Stamme heim.
Ebenso klärt die Philosophie Einzelne aus dem Menschenstamme auf
über die transzendentale Lage des menschlichen Geschlechtes. Von
hier aus wundert sich der Mensch über sein Dasein. Sicherlich
hat schon mancher genau auf den Nordpol gesessen, so daß er,
wenn er es wußte, das Gefühl bekommen konnte: Die Erde
dreht sich um mich. Auf dem Pol der Naturachse aber saß noch
niemand, denn er würde sich dann im Paradiese befunden haben.
Niemand, außer dem Menschensohn.
Alle Tiergeschlechter dagegen sind voll eingebettet in den
biologischen Prozeß, der sich in der Natur, langsam verlaufend,
abspielt; sie sind erklärbar aus ihrem Archetypus und ihrem
Anpassungszustand. Sofern der Mensch Säugetier ist, gilt das
auch für ihn, und man kann ganz unbesorgt an das Problem seiner
Entwicklung herangehen, wenn man nur stets den Unterschied von seiner
Abstammung im Auge behält. Aus Gründen der transzendentalen
Logik ist es a priori unmöglich, daß er tierische
Vorfahren habe, das heißt, daß er je etwas anderes war
als Mensch. Das schließt aber nicht aus, daß er kraft
seiner Eigenschaft als Säugetier den Gesetzen der Entwicklung
unterliegt wie jedes andere auch. So muß er auch einmal im
Wasser gelebt haben, aber nicht als Fisch, sondern als Mensch.
2. DAS INGENIUM LAMARCKS
Der Entwicklungsgedanke ist durch den gründenden Akt Lamarcks in
die Welt gekommen; vor ihn gab es ihn nicht. Er hat ungeheures
Aufsehen erregt - sogar Goethe erzitterte -, und ohne ihn ist die
ganze moderne Biologie gar nicht zu denken; sie wäre ohne
Schwungkraft. Man könnte von einer Initialzündung reden,
die durch ihn erfolgt ist. Aber hier ergibt sich etwas sehr
Merkwürdiges: der Grundgedanke Lamarcks, den er ausgesprochen
hat, ist unhaltbar - trotzdem ist die Tat genial. Es gibt also so
etwas wie : in actu demonstrandi falsch - in statu nascendi richtig.
Dafür ist Lamarck das Musterbeispiel. Bei Goethe, dessen
Grundgedanke über Entwicklung im wesentlichen stets richtig
waren, lag es offenbar so, daß er die Rolle der
Initialzündung nicht übernehmen konnte: es war ihm nicht
gegeben, die hierfür nötigen genialen Irrtümer zu
begehen - weshalb wir ja Lamarck und Darwin genii inversi nannten.
Der revolutionäre und paradoxe Einschlag, der hier nötig
ist, lag ihm nicht. Darum hatte Goethe zwar auf die Dauer gegen beide
recht, aber er war in der Entwicklungslehre nicht der gründende,
sondern der bewachende Kopf; er hatte einen sicheren Instinkt gegen
jeden falschen Ton in der Wissenschaft.
Die Entwicklungslehre, die ein reichliches Jahrhundert hindurch die
Welt in Atem gehalten hat, basiert auf folgenden Grund-Thesen
Lamarcks:
1. Es gibt keine Arten, sondern nur Individuen. (Jenes
eigentümlich Festhaltende, Sicherstellende, durch das die
Individuen genötigt werden, immer wieder als Exemplare einer Art
zu erscheinen, ist nur ein Begriff unserer Vernunft. Also
Nominalismus.)
2. Es gibt statt dessen nur die »unendliche Entwicklung«,
die durch das »autonome Leben« oder die »autonome
Natur« und die »günstigen Umstände«
(circonstances favorables) in sehr langer Zeit und mit unbekanntem
Ziel fortschreitet.
Indem also LAMARCK in seiner Vorlesung vom 11. Mai 1800 sagte:
»Ich könnte beweisen, daß es weder die Form des
Körpers, noch die seiner Teile ist, die seine Gewohnheiten und
seine Lebensweise veranlaßt, sondern daß es umgekehrt
(sic!) die Lebensweise und alle einwirkenden Umstände sind, die
mit der Zeit Körper und Körperteile formen«, so war
diese Behauptung genau gegen die Grundlehre seiner Zeit gerichtet.
Die Denkrevolution war nicht geringer als die, welche Kant
hervorrief, als er sagte, wir leiten die Gesetze der Bewegung der
Himmelskörper nicht ab, sondern unser Denken schreibt sie ihnen
vor (was Kant freilich nicht ganz so gesagt hat. H. B.), und diese
Lamarcksche Umkehrung in ihrer von Anfang an gegebenen begrifflichen
Klarheit und Strenge war seinen Zeitgenossen eine törichte
Gedankenspielerei, »ein Widerspruch gegen den gesunden
Menschenverstand« (KÜHNER: Lamarck, Diederichs 1913, Seite
137). Hier haben wir, gut erfaßt, die charakteristischen
Merkmale des genialen Vorganges: die paradoxe Behauptung und die
Umkehrung; wir sehen das Genie am Werk, selbst Organ der Natur, von
der es redet; es tastet an eine entscheidende Stelle der
Wissenschaft, die sich bilden will, und vollzieht den gründenden
Akt: aber die ausgesprochene These ist unhaltbar. Ein sehr
merkwürdiger Vorgang.
Denn die beiden Pole, zwischen die Lamarck seine »unendliche
Entwicklung« einspannt, das »autonome Leben« und die
»günstigen Umstände«, genügen eben nicht, um
die Erscheinung, hier also das Neuerscheinen eines Lebewesens, zu
erklären. Man gerät auf unvollziehbare Gedankengebilde,
wenn man sich mit ihnen begnügt. Ich trug einmal diese Lehre
Lamarcks ohne die geringste Stellungnahme rein objektiv und lehrend
einer jungen Studentin, die meine Schülerin war, vor und verwies
dabei auf eine Vase voll Sonnenblumen, die auf dem Tisch stand. Sie
hörte aufmerksam zu, als ich ihr erklären wollte, daß
diese Formen, die nur der Sonnenblume eignen, eben nur durch diese
beiden Elemente Lamarcks zu erklären seien; nach einer kurzen
Betrachtung fuhr das junge Mädchen auf und rief: »Nein!
Niemals« Das ist ja eine Entheiligung der Natur ...!« Sie
hatte es richtig erfaßt.
»Ebenso begreift man« - fährt Lamarck fort -,
»daß ein Strandvogel, der nicht schwimmen will, aber
dennoch das Bedürfnis hat nahe am Wasser zu bleiben, um dort
seine Beute zu finden, dauernd Gefahr läuft, im Schlamme zu
versinken; da er nun verhindern will, daß sein Körper in
das Wasser taucht, so werden seine Beine durch Gewöhnung sich
strecken und verlängern. Für die Generation solcher
Vögel, die in dieser Weise zu leben pflegen, wird sich dann
ergeben, daß die Individuen auf lange nackte Beine wie auf
Stelzen gehoben scheinen, die nämlich bis an die Oberschenkel
und oft darüber hinaus unbefiedert sind...« (Kühner,
Seite 139) - ja, aber das alles unter der Voraussetzung, daß
der Vogel, von dem hier geredet wird, ein Storch ist, andernfalls
nicht. Sonst nämlich kann er das alles gar nicht
»wollen«, denn ich kann durchaus nicht wollen, »was
ich will«, und der Storch auch nicht. Das »eigentliche
Storchsein« aber macht es erst, daß Lamarck davon
überhaupt reden und von »Entwicklung« sprechen kann.
Es ist durchaus denkbar und möglich, daß die Störche
vor Jahrmillionen einmal neben den Enten, und sogar »als«
Enten auf dem Wasser schwammen; am Strande stehen wollen aber und
nicht schwimmen, das konnten sie nur, weil sie heimlich Störche
waren und keine Enten; denn diese können das nicht wollen.
Schopenhauer, der in dem großen und reinen Geiste Lamarcks mit
Recht seinen Vorfahren sah, hat das alles schon ganz richtig gesehen.
Denn Lamarcks Begriff vom Wollen ist schopenhauerisch und
richtig.
Da nun Lamarck, nachdem er einmal sein Entwicklungsgesetz aufgestellt
hatte, dieses auch zu Ende dachte, so stieß er - und mit ihm
alles, was später unter der Flagge »Darwinismus«
segelte - notwendigerweise auf einen Anfangspunkt innerhalb der
organischen Welt, und diesen nannte er die »Ur-Gallerte«;
dieses Gedankengebilde tritt später als die Ur-Zelle,
Ur-Protoplasma usw. auf, übernimmt aber immer dieselbe Funktion.
Es ist eine einfache, homogene, also ungegliederte Eiweißmasse,
deren Reaktionen auf äußere Einwirkungen aber nicht
bloß chemische sind mit ihren beschränkten und daher
berechenbaren Möglichkeiten, sondern vielmehr echte Reize, so
daß Reizursache und die Reizwirkung inkommensurabel sind.
Vorausgesetzt nun, daß es einen solchen Gegenstand in der Natur
wirklich gäbe, so gibt es doch keine Möglichkeit für
den Intellekt, sich vorzustellen, wie durch noch so lange
Einwirkungen von außen her aus einem homogenen
Schleimklümpchen je auch nur der primitivste Organismus
entstehen könnte. So etwas vertrocknet oder verfault, und das
tat es vor Jahrmillionen so gut wie heute. Wir stehen hier vor einem
unvollziehbaren Gedankengang. Der Übergang vom bloß
Organischen zu Organismus ist nicht möglich ohne
Zwischenlandung. Es ist die Stelle, an der jene junge Studentin ihren
Protest einlegte. Kein Intellekt vermag so etwa zu leisten. Das
Naturgesetz der Entwicklung, so wie es Lamarck und Darwin fassen, das
heißt ohne Archetypus, geht nicht in die anschauliche Welt
über, sondern verbleibt draußen als leeres
Gedankengebilde. »Begriffe ohne Anschauung sind leer«
(KANT). Das aber gerade ist das Merkmal eines echten Naturgesetzes,
daß es als abstraktes Gebilde der Vernunft jederzeit in die
anschauliche Welt eingehen kann; hierbei gelten als unerreichtes
Muster die reinen Denkgesetze, die zu Kategorien als Stützen der
anschaulichen Welt erstarren.
3. DER DOKTRINRE DARWINISMUS UND SEIN HINTERGRUND
Ein jeder, der das hier Vorgetragene liest, sollte einmal mit der
Strenge eines Ignatianischen Exerzitiums versuchen, sich die
Vorstellung zu suggerieren, daß ein amorphes homogenes
Klümpchen Gallerte durch Einwirkung von außen her ein
lebendiger Organismus werde, der die Funktionen des Stoffwechsels,
des Wachstums und der Anpassung ausübt, so wird er, wenn er
redlich ist und keinem Massenwahn unterliegt, bemerken, daß im
Augenblick, da er sich diese rätselhafte Verwandlung vorstellt,
sich sofort in seinem Intellekt der Archetypus eines bestimmten
Lebewesens einstellt mit charakteristischen Merkmalen (etwa eines
Infusoriums), und daß ferner dieses unter dem allgemeinen
Begriff der Zweckmäßigkeit steht. Das heißt: er kann
sich einen lebendigen Organismus gar nicht vorstellen, ohne ihn
zweckmäßig zu denken, genau so, wie die physikalischen
Körper stets als schwer gedacht werden müssen. Kant nennt
dieses untrügliche und immer eintreffende Gefühl die
teleologische Urteilskraft. Zweckmäßigkeit ist demnach
eine Prädikabilie des lebendigen Organismus (welcher Gedanke
allerdings nicht von Kant ausgesprochen wurde, aber doch in der
Richtung seines Denkens liegt). Da nun der Begriff der
Zweckmäßigkeit seinen Sitz zunächst im Intellekt hat
(denn dort treffen wir ihn zuerst), so sehen wir sofort, daß
wir es hier wiederum mit der Achse der Natur zu tun haben, die sich
automatisch einschaltet, wenn wir vergeblich versuchen, jenes
Ignatianische Exerzitium durchzuführen. Der wissenschaftliche
Scheinerfolg nun, den die ursprüngliche Entwicklungslehre
Lamarcks und Darwins (kurz von jetzt an Darwinismus genannt) gehabt
hat, beruht darauf, daß dieses exercitium als gelungen
angesehen wurde; man unterschlug die Kontrolle eines Gedankengebildes
durch die anschauliche Welt. Das aber war nur durch Gedankenlosigkeit
und Massenwahn möglich. Denn hinter dem Darwinismus steht das
uneingestandene Interesse der Emporkömmlinge, die in falschem
Optimismus die Einsicht in die wahre Natur des Menschengeschlechtes
verdrängen wollen.
Ist demnach am Anfangspunkte der biologischen Klimax der
Entwicklungsvorgang ohne das Primat der archetypischen Prägung
ein unvollziehbares Gedankengebilde, so gilt das auch für jede
andere Stelle, an der eine Art sich aus einer andern nach diesem
Schema entwickelt haben soll. Daß es überhaupt
phylogenetische Entwicklung gibt und nicht nur die allbekannte
Ontogenese, das entdeckt zu haben, ist das unsterbliche Verdienst
Lamarcks. Daß diese aber nur unter dem Primat der Urform vor
sich geht, diese Einschränkung muß sich die Lehre gefallen
lassen, um aufzuhören, im Dienste von Massengelüsten zu
stehen, und statt dessen in den Bildungsschatz des höheren
Menschentums einzugehen. Kant und Goethe aber haben Lamarck und
Darwin in Schach gehalten.
Der doktrinäre Darwinismus ist genötigt, die Entwicklung
der organischen Welt an jenem Protoplasma-Punkte anzusetzen und sie
bis zum Menschen durchzuführen - aus dogmatischen Gründen.
Anders geht das nicht; es ist ihm nicht erlaubt, andere Faktoren in
Erwägung zu ziehen, so wenig wie es etwa dem Astronomen erlaubt
wäre, zu sagen, der Mond werde von der Schwere der Erde
angezogen, aber auch vom Magnetismus (nur, daß die Basis der
Astrophysik nicht dogmatisch ist). Und so entstehen denn jene
berühmten »Stammbäume«, die wir in allen
darwinistischen Lehrbüchern finden. Das ist das Ergebnis einer
Zwangslage. Die freie Forschung* dagegen, die aber im übrigen
den Entwicklungsgedanken annimmt, ist in der glücklichen Lage,
rein empirisch vorgehen zu können. Und da stellt es sich denn
heraus, daß die Abstammungslinien, die man von Fall zu Fall
findet, wenn man sie bildlich darstellte, keineswegs einen
»Baum« ergebe, eher noch einen Strauch mit vielen
Wurzelstücken, und ich möchte auch dies noch als
übertrieben ansehen und lieber das Bild von Teichalgen mit ihren
unzähligen grünen Fäden wählen. Seit nämlich
die nüchterne Wissenschaft der vergleichenden Anatomie
eingegriffen hat, schrumpft die Zahl der Abstammungen bedenklich
zusammen; das will sagen, die Zahl unableitbarer Einzelstämme
ist in der Zunahme begriffen.
Den empirischen Naturalisten, wenn sie ihre dogmatischen Behauptungen
aufstellen, will es durchaus nicht in den Kopf, daß der
Intellekt nicht hier und da in der Natur vorkommt, wie die rote
Farbe, sondern transzendental ist. Die Klügeren unter ihnen
bemerken das erst, wenn es zu spät ist und sie bereits Thesen
aufgestellt haben, die sie in unlösbare Widersprüche
verwickeln. Hierzu gehört die These von der
Zweckmäßigkeit als Ergebnis. Es sind, wie gesagt, die
Klügeren unter ihnen, die nachdenklich werden, wenn man sie
darauf hinweist, daß sie beim Begriff »Organismus«
die Zweckmäßigkeit, ohne es zu bemerken, bereits
mitgedacht haben; die anderen werden grob oder dogmatisieren weiter.
Es scheint leicht, einzusehen, daß die Erfahrungswelt nicht
bestünde, wenn es keine Materie gäbe, weil sonst nichts da
wäre, wogegen man auch mit einem noch so
mittelmäßigen Kopf stoßen könnte; daß sie
aber genau so wenig da wäre, wenn es keinen Intellekt gäbe,
das einzusehen, verlangt schon einen besinnlichen Kopf mit guter
Schulung. - Kant war nun sehr vorsichtig und meinte, dieser Grundsatz
der Zweckmäßigkeit, dem a priori alle organischen Wesen
unterliegen, werden von der teleologischen Urteilskraft nur im
»regulativen« Sinne gebraucht, das heißt, wir
können gar nicht anders, als alle Untersuchungen über die
Lebensgesetze der organischen Welt unter der stillschweigenden
Voraussetzung ihrer Zweckmäßigkeit zu machen; keineswegs
aber sei damit der konstitutive Charakter behauptet, durch den also
die Natur selber in ihren Organismen zweckmäßig handle.
Hier meldet sich einmal wieder Kants eigentümliche Scheu vor dem
Objekt. Denn es hieße doch, die Organismen nur mit der Brille
der Zweckmäßigkeit betrachten, wollte man sich mit der
bloß regulativen, also subjektiven Bedeutung begnügen. Es
muß doch, sagt man sich ganz unwillkürlich, dieser
Notwendigkeit im Subjekte etwas im Objekte entsprechen, worauf sie
sich gründet, denn sonst ginge es um einen bloßen
Zwangsgedanken, nicht aber um Notwendigkeit. Und in der Tat gibt es
dieses im Objekt: es ist der »Wille in der Natur« im Sinne
Schopenhauers. Da jedes Lebewesen Materie ist, also von innen gesehen
Wille, so wird es klar, daß alle seine ußerungen
zweckmäßig sein müssen, eben, da sie ja gewollt
werden, und der Wille stets im Sinne der Zweckmäßigkeit
verfährt, ohne es zu wissen, versteht sich. Denn daß in
der Natur außerhalb des Menschen irgendwo bewußter Wille
vorkäme, das hat noch niemand vertreten. Der Vogel baut sein
Nest zweckmäßig, weil er es so bauen will; würde er
das auch wissen, so würden die Nester an naturgeborener
Sicherheit verlieren, so wie die Bauwerke der Menschen, an denen alle
paar Jahrzehnte etwas zur reparieren ist. Aber auch Wachstum,
Stoffwechsel und Anpassung sind zweckmäßig, weil ihnen der
Wille dazu zum Grunde liegt. Das also ist das objektive Korrelat zur
teleologischen Urteilskraft, mit ihr verbunden durch die
transzendentale Kontinuität der Natur.
4. ANPASSUNG, VERERBUNG, MUTATION
Die Anpassung hat nicht etwa, wie das in den Darstellungen der
darwinistischen Litteratur oft zu klingen scheint, einen
Sonderauftrag zu Zwecken der Entwicklung, sie liegt nicht außer
der Reihe, sondern sie gehört zusammen mit Stoffwechsel und
Wachstum zu den drei Grundfunktionen des Organismus im Dienste der
Zweckmäßigkeit. Jedes organische Lebewesen ist stets, mehr
oder minder gut, an seine Umgebung angepaßt und vollzieht diese
Funktion als ständige Tätigkeit, genau wie den Stoffwechsel
und das Wachstum. Die Anpassung beginnt auch nicht etwa an einem Tage
und hört dann auf, sondern sie ist immer da, und das Lebewesen
würde baldigst sterben, wenn sie aussetzte, genau so, wie es
stürbe, gäbe der Stoffwechsel seine Tätigkeit auf.
Nicht angepaßte Lebewesen gibt es nicht. Anpassung ist es, wenn
die Miesmuschel (Mytilus edulis) im harten Schlag der Meeresbrandung
dicke Schalen bildet und nach der Dreikantform strebt, während
sie im Teichwasser dünnschalig bleibt und flache Form annimmt;
Anpassung ist die Tätigkeit der Pupille, die die Lichtzufuhr zum
Augenhintergrund regelt. Die Anpassung sieht also nicht etwa so aus,
wie wenn ein Kaufmann in eine kleine Stadt zieht und sich nun, was
den Einkauf seiner Waren angeht, den Bedürfnissen der Einwohner
anpaßt, wobei, was er selber ist, gar nicht ins Gewicht
fällt. Beim Anpassungsvorgang der Lebewesen wird vielmehr der
Umwelt ein charakteristisch geprägtes eigenwilliges Wesen
entgegengesetzt, und es spielt sich zwischen diesen beiden ein
Ausgleichsvorgang ab, der fast der Beziehung zwischen einem
Sinnesorgan und der äußeren Erregung gleicht. Die
Anpassung ist etwas Produktives, denn sie schwingt in Wirklichkeit
nicht zwischen den empirischen Einzeldingen der Umwelt und dem
einzelnen Organismus, sondern zwischen deren Archetypen. Es ist ja
wunderbar, zu sehen, wie schnell sie oft wirkt; gewisse Meerespolypen
- Tintenfische -, wenn sie auf dem hellen Sandboden kriechend in die
Nähe eines dunklen Steines kommen, erhalten plötzlich eine
dunkle Schutzfärbung nur auf der einen, dem Steine zugewandten
Körperhälfte, während die andere in der hellen, dem
Sande angepaßten Schutzfärbung verbleibt. Man wird ein
solch erstaunliches Phänomen - das ich selbst im Aquarium
beobachtet habe - nicht durch unmittelbare Einwirkung des Steines auf
die Haut erklären wollen, sondern wir stehen hier im sehr
geheimnisvollen Tätigkeitsbereich der Anpassung, die auf den
archetypischen Willen zurückgeht, einen Willen freilich, zu dem
uns alle Analogien aus dem Menschenleben fehlen. Die Anpassung ist
demnach - kantisch formuliert - »von transzendentaler
Bedeutung« und steht in »transzendentalem Gebrauch«,
nur eben nicht auf die Erkenntnis bezogen, sondern auf den
Willen.
Ganz langsame, erst in Generationen fest werdende Anpassungen sind
dagegen etwa der gesteigerte Haarwuchs bei zunehmender Kälte der
Umwelt. Das Mammut hat seine lange zottige Fellbekleidung deshalb
bekommen, weil die ehemals in tropischem Klima stehende Gegend
Nordsibiriens, in der wir heute seine Reste im Eise finden, durch
eine Polverlagerung von einem starken Kälteeinbruch bedroht
wurde. Vorher müssen wir und das Mammut nach Art des indischen
Elefanten haarlos denken. Um dieser zunehmenden Kälte
entgegenzuwirken, setzte die Anpassung ein, und es kam zu
verstärktem Haarwuchs. Was den Wettlauf zwischen Kälte und
dem Haarwuchs nicht mitmachen konnte, ging zugrunde, das andere
verbesserte seinen Fellbesatz nach dem Ausleseprinzip durch die
Vererbung, und so entstand allmählich das uns bekannte Mammut
mit dem zottigen warmen Fell; die übergroßen
Stoßzähne dagegen, die es charakterisieren, kann man nicht
aus der Anpassung erklären, sondern sie sind freies Spiel der
Natur, wie das Geweih des Edelhirsches. - Aber man kann den ganzen
Vorgang auch anders sehen: das Mammut lebte früher haarlos in
tropischen Zonen und bekam plötzlich, durch Mutation,
verstärkten Haarwuchs und zottiges Fell, so daß ihm das
heiße Klima unerträglich wurde; es wanderte daher in die
subarktischen Gegenden aus, wo es leichtere Anpassungsbedingungen
fand. Beide Auffassungen sind möglich und enthalten keine jener
unerträglichen Zumutungen an den Intellekt, wie sie sonst im
darwinistischen Lager gang und gäbe sind. -
Stellt man sich auf der andern Seite etwa ein langsam austrocknendes
Meer vor, das die Fische in ähnliche Verlegenheit setzt wie jene
Vorfahren des Mammut, so ist damit keineswegs gesagt, daß sie
etwa die Seitenflossen zu Füßen umbilden, sondern die
Fische gehen einfach sang- und klanglos zugrunde. Was aber an
Amphibien und Reptilien im Laufe der Erdgeschichte aus dem Meere
aufgestiegen ist und sich zu Landtieren umbildete, das war dazu
archetypisch präformiert. Anpassung ist eben immer ein
kritisches Frage- und Antwortspiel zwischen zwei ebenbürtigen
Gegnern: dem Archetypus einer Tierart und dem archetypischen
Potential seiner Umwelt. Er und Es antwortet aus der
Machtvollkommenheit des Naturhintergrundes, und dieses Er und Es
muß vorhanden sein in des Wortes tiefster Bedeutung, ((ontos
on)), um das ganze Schauspiel der Entwicklung durch Anpassung
zustande zu bringen, das wir bewundern. Jener Krämer, der sich
»den Bedürfnissen des Publikums anpaßt«, kann
selber eine Null sein. Natur aber ist er niemals.
In der Entwicklungslehre ist Lamarck der gründende Genius; er
hat als erster diesen paradoxen und für seine Zeit
schreckenerregenden Gedanken gefaßt. DARWIN dagegen fügte
ihm die Begriffe der »natürlichen Zuchtwahl« und des
»Kampfes ums Dasein« hinzu, die aber den
Entwicklungsgedanken selber schon voraussetzen. Beides sind durchaus
geglückte Einfälle, die man nie wieder vergessen wird: nur
eben gerade das Dogmatische an ihnen, nämlich daß durch
sei, ohne archetypische Präformation, neue Arten von außen
her entstehen, ist unhaltbar. Natürliche Zuchtwahl und Kampf ums
Dasein spielen bei der Verbesserung der Art und der Ausbildung von
Varietäten eine Rolle, auf die Art selber aber haben sie keinen
Einfluß, denn diese ist jedesmal vorher da. Und nur, was in ihr
enthalten ist, kann im Prozeß der »unendlichen
Entwicklung« herauskommen. Der Archetypus aber ruht - als Idee -
im Objekt und zugleich - als Begriff - im Subjekt. Nur weil es so
ist, kann es Entwicklung geben und diese zugleich in der Wissenschaft
begriffen werden. Hoc signum naturae.
Darwins Beitrag zur Entwicklungslehre betrifft besonders das
Gebiet der Vererbung. Der allgemein von der Wissenschaft anerkannte
Satz über sie lautet: Erworbene Eigenschaften vererben sich
nicht, sondern nur angeborene. Mit der Zuverlässigkeit dieses
Satzes wird man im allgemeinen gute Erfahrungen machen, allein es
gibt doch Ausnahmen, die zu einer anderen Fassung zwingen. So
behaupten unsere theoretischen Physiker bereits, sie könnten
durch künstliche Umlagerung im atomaren Gefüge der
Keimzellen vererbliche Mutationen hervorbringen. Ferner aber haben
wir im Falle des Judentums das Beispiel einer persistenten Rasse
durch einen nur ihm eigentümlichen Erbreiz, der, bei Abram, von
außen her kam und keinerlei Merkmale des Angeborenseins bei
sich trug; ein gewichtiger ethischer Impuls lagerte hier die
Keimzellen um. Damit also Vererblichkeit entstehe, ist im
wesentlichen nötig, daß irgend etwas auf die Keimzellen in
ihrer Funktion Einfluß gewinnt; angeborene Eigenschaften tun
dies ohne weiteres, denn sie haben ja in denselben Keimzellen ihre
Basis, und ihre Häufung durch künstliche oder
natürliche Zuchtauswahl verstärkt sie in der
Nachkommenschaft oft so weit, daß sie zum dominierenden Merkmal
werden. Aber es gibt doch eben auch erworbene Eigenschaften, denen
der Sprung ins Gefüge der Keimzellen gelingt. Diese sind ja die
einzigen im Organismus, die einen unmittelbaren Anschluß an den
Archetypus haben; sie stehen in seiner Vollmacht und zeichnen
für ihn. Der Vererbungsvorgang ist, wie die Anpassung, immer
eine vollgiltige Antwort des Organismus aus dem Grunde seines
archetypischen Potentials heraus auf den Erbreiz - der hier generativ
die Rolle spielt, wie das Motiv bei der Handlung des Individuums -;
er ist aber die bloße Ursache, nicht der Grund. Es hängt
alles davon ab, ob dieses tiefste Wesen eines Organismus angesprochen
wird oder nicht. Bei Abram war dies der Fall, als er die Worte
hörte »Gehe aus deinem Vaterlande...«, und weil er aus
Freiheit gehorsam war, deshalb wurden diese Worte Erbreiz und die
Erfüllung trat ein: »und ich will dich zum großen
Volke machen«. Bei den Griechen, die den Auftrag der
Schönheit hatten (um es einmal irgendwie auszudrücken),
wurde dieser nicht zum Erbreiz gesteigert, und darum gibt es auch
heute keine Griechen mehr. Es wird auch bald keine Deutschen mehr
geben, es sei denn im ethnologischen Sinne. Hier ist ein historischer
Moment verpaßt worden oder auch vertan.
Zu erinnern ist hier noch an das Weismannsche Gegenexperiment, das
dem hemmungslosen Erblichkeitsglauben der Darwinisten Paroli bieten
sollte. Weismann schnitt Mäusen zweiundzwanzig Generationen
hindurch die Schwänze ab, ohne daß sich auch nur die
leiseste Verkümmerung bei den Neugeborenen zeigte. Nun ist ein
abgeschnittener Schwanz gewiß keine angeborene Eigenschaft, ja
nicht einmal ein erworbene, sondern ein Unglück. Das Experiment
trifft also doch die Erblichkeitsvorstellungen des alten
rechtgläubigen Darwinismus nicht. Denn der verstärkte
Haarwuchs des phylogenetisch entstehenden Mammut ist eben durchaus
zugleich eine angeborene (nämlich als Möglichkeit) wie auch
eine erworbene Eigenschaft. Indessen gab dieses Experiment zu einem
wahrhaft tiefsinnigen Witz Bernhard Shaws Veranlassung, der bemerkte:
man hätte, um erbliche Schwanzlosigkeit zu erzeugen, den
Mäusen vorher diese als Ideal hinstellen müssen; was genau
den Nagel auf den Kopf trifft.
Das Phänomen der Mutation hat von jeher als ein
schwerwiegender Einwand gegen den Darwinismus gegolten, und das ist
es auch. In meinem Gartenteich wimmelte es vor Jahren von Hunderten
und Tausenden von Kaulquappen. Plötzlich entdeckte ich unter
ihnen eine, die anstelle der dunklen Schutzfärbung eine
silbrig-goldene hatte etwa nach Art der Goldfische. Es war ein ganz
sonderbarer Anblick und bemerkenswert, das dieses Tier ja von
denselben Eltern abstammte, wie seine dunkelhäutigen
Geschwister. Da es mich - wegen des aristokratischen Motives der
Natur - besonders lockte, wollte ich es am nächsten Tage fangen
und separieren, um zu sehen, was daraus würde. Aber da kam eine
Wildente und schnappte es mir fort, aus naheliegenden Gründen.
Hier hatte ich aber eine echte Mutation vor mir; das heißt:
plötzlich springt eine deutlich betonte und stark verschiedene
Variante aus einer Tierart heraus, die nun, je nachdem, auf welche
Anpassungsverhältnisse sie stößt, sich entweder
erhält oder untergeht. Diese Mutationen machen am meisten von
allen biologischen Geschehnissen den Eindruck von
Schöpfungsakten; jedenfalls entspringen sie einem freien Spiel
der Natur, das seine ganze Kraft aus dem archetypischen Potential
schöpft.
So aber müssen wir uns überhaupt die »Entstehung der
Arten« vorstellen. Wenn wir in paläontologischen
Lehrbüchern lesen, daß in diesem oder jenem Erdzeitalter
irgendeine neue Art »plötzlich auftaucht«, um dann
wieder zu verschwinden, so sind das eben solche freien Spiele der
Natur, auf denen überhaupt der ganze Reichtum an Arten beruht.
Denn eines ist doch nun einmal ganz sicher: aus dem bloßen
Spiel zwischen einem amorphen und »autonomen Leben« (Wille
zum Dasein) und den äußeren Umständen, die das Motiv
zur Anpassung werden, läßt sich niemals die
charakteristische Gestalt eines Lebewesens erklären (man denke
an jenen Protest der jungen Studentin!), sondern diese geht allemal
unmittelbar auf den Archetypus zurück, dessen eine Funktion die
Bildung eben dieser Gestalt selber ist, dessen andere aber die des
Begriffes, vermöge dessen ich sie erkenne. So wenig sich die
bildenden Kräfte der Natur aus den bewegenden ableiten lassen,
so wenig die spezifische Gestalt aus dem Spiel von autonomen Leben
und Anpassung. Denn es muß vorher ein vollgiltig gestaltetes
Lebewesen da sein, das sich anpassen kann oder nicht; der Vorgang
muß ein Subjekt haben, sonst ist eine Aussage über ihn
wohl grammatisch, nicht aber empirisch möglich.
5. DIE UNABLEITBARKEIT DES MENSCHENSTAMMES
Das Kapitalstück der Entwicklungslehre, das ihr so großes
Ansehen verschafft hat, ist die These von der Abstammung des Menschen
vom spezifischen Tier, also vom Affen. Zur Rede steht also nicht die
Entwicklung des Menschen innerhalb des eignen Stammes - die es gibt
und geben muß -, sondern die Abstammung von einem andern Stamm,
die es nicht gibt und nicht geben kann. Zur Rede steht daher auch
nicht die allgemeine Zugehörigkeit des Menschen zu den
höheren Säugetieren - zu irgend etwas muß ein
Lebewesen ja schließlich gehören -, sondern die
phylogenetische Deszendenz von einem bestimmten Säugetier.
Wenn man sich vor Lamarck die Gestalt des Menschen zugleich mit der
einiger höherer Affenrassen ansah, so konnte man lächelnd
daran vorbeigehen und die auffallende hnlichkeit einem Spiel
der Natur zuschreiben. Nachdem aber Lamarck den Gedanken der
Entwicklung ausgesprochen hatte, konnte man das nicht mehr. Es ist
aus mit aller Naivität, und auf einmal steht das große
Fragezeichen der Abstammung eines vom andern da. Dieses streckt sich
schnell in ein Ausrufezeichen, und im Laufe eines Jahrhunderts
erweist sich der Gedanke als unwiderstehlich. Er nimmt
Zwangscharakter an, politisiert sich und gerät damit unter das
Gesetz des Massenwahns. Man spricht daher mit Recht von einem
»demagogischen Darwinismus«, der, Staatsdoktrin geworden,
sogar ausgesprochen diktatorisch-autoritative Formen annimmt. - Warum
das...? fragt man sich. Lamarcks reservatio mentalis ist längst
vergessen worden. Man meint, wenn man von der Abstammung des Menschen
spricht, diesen ganz und gar samt seinen »höheren
Eigenschaften«. Also genau so, wie ein jeder von seinem Vater
abstammt, nur eben phylogenetisch gedacht.
Wenn man sich nun statt der sichtbaren Gestalt Affe und Mensch die
des Hundes, des Wolfes, des Schakals, der Hyäne und des Fuchses
ansieht, also die Gruppe der Caniden, und ihr Vorstellungsbild auf
sich wirken läßt, so wird man auch an Hand des
Entwicklungsgedankens zunächst auf das Ergebnis kommen: hier
müssen Abstammungsverhältnisse vorliegen; die Natur hat
diese Arten nicht als einzelne seit Urzeiten nebeneinander
geschaffen, sondern es ist entweder eine davon die älteste, die
Primitivform, und die andern haben sich daraus spezifiziert - oder
sie sind alle miteinander, also die ganze Canidengruppe,
spezialisierte Abkömmlinge einer heute ausgestorbenen Art. Denn
das eben sagt ja der, an sich richtige Entwicklungsgedanke. Nur die
Erfahrung aber, geleitet von den phylogenetischen Einzelgesetzen,
kann lehren, in welcher Reihenfolge das geschah, das heißt, wer
von wem abstammt. Bei der Canidengruppe hat diese Reihenfolge nur
Fachinteresse, und niemand wird sich darüber aufregen, wenn es
eines Tages wieder einmal heißt: nein, nicht diese Art ist die
ältere, sondern jene, aus diesen und jenen Gründen. Ganz
anders bei der Beziehung AffeóMensch. Hier wurde die
Reihenfolge von vornherein dogmatisch entschieden. Man kam gar nicht
auf den Gedanken, daß sie anders verlaufen könnte als vom
Affen zum Menschen, denn das Dogma vom ständigen Aufstiege des
Menschengeschlechtes war ein eingewurzeltes Geistesgut geworden. Die
Naturforscher, die sich doch sonst etwas darauf zugute tun, dem
Menschen jede Sonderstellung in dem, was sie Natur heißen, zu
versagen, hätten diesen Grundsatz doch auch hier anwenden
sollen, denn, was den Caniden recht ist, das ist den
»Anthropoiden« und Pithekoiden billig. Aber nein! Es ist
selbstverständlich, daß der Mensch der letzte
Abkömmling ist, denn er ist ja die Krone der Schöpfung, und
diese wird zuletzt aufgesetzt. Der Siegeslauf des Darwinismus konnte
nicht ausbleiben, denn hinter ihm standen die stärksten Affekte
des Jahrhunderts. Nichts ehrt ja den Bürger dieses
Zeitabschnittes mehr, als wenn man von ihm sagt: er ist früher
ein ganz kleiner Mann gewesen, und seht, was Tüchtigkeit und
Ausdauer alles zustande bringen! Einen kleinen Mann in großer
Aufmachung, sonst nichts. Jener Krämer, der sich in der
Kleinstadt mit nichts und als nichts niederließ, sich den
Bedürfnissen der Umwelt anpaßte und so den Kampf ums
Dasein siegreich bestand, das ist das Ideal jenes Jahrhunderts. Der
hierin enthaltene impetus gibt sowohl die bewegende Kraft für
die politischen Umwälzungen seit 1789 her, als auch die
affektive Stütze für den Darwinismus als einer
Emporkömmlingslehre. Ein Greuel dagegen ist dieser Zeit,
daß jemand kraft natürlichen, archetypisch besiegelten
Privileges mehr ist als ein anderer und demnach über Kräfte
und Einsichten verfügt, die nicht auf dem Wege der Anpassung
erworben sind.
Nun aber trat in der Geschichte der Entwicklungslehre das Sonderbare
ein, daß die Frage nach der Reihenfolge der vorgeblichen
Abstammung des Menschen vom Affen doch von besonnenen Forschern
angepackt wurde, und daß dabei folgendes verblüffendes
Ergebnis herauskam:
1. Eine Abstammung des Menschen vom Affen ist aus Gründen der
vergleichenden Anatomie unmöglich.
2. Die tatsächliche Beziehung, die hier vorliegt, ist entweder
die, daß die beiden Stämme phylogenetisch nichts
miteinander zu tun haben, der Mensch jedenfalls ein eigner uralter
Stamm ist. Oder, wenn man ein Abstammungsverhältnis annehmen
will, so nur umgekehrt eines des Affen vom Menschen.
Die Hauptstütze für die neue Auffassung der Unableitbarkeit
des Menschenstammes von tierischen Vorfahren bildet das »Gesetz
der Nichtumkehrbarkeit« von DOLLO-ABEL. Es besagt, daß
Organe und Glieder, die sich bei einer bestimmten Art weitgehend
spezialisiert haben, nicht mehr zurückgebildet werden
können, sondern samt der Art entweder stehen bleiben, oder sich
noch weiter in derselben Richtung spezialisieren, wobei die Art
allmählich biologisch in eine Sackgasse gerät und
ausstirbt. Neuentwicklungen sprießen immer nur aus
Primitivformen, die noch Möglichkeiten der Spezialisierung in
sich enthalten. Nun sind alle Affenarten weitgehend spezialisiert und
zwar zum Leben auf Bäumen, wofür ihre Gliedmaßen, die
langen Arme und ihr Kletterfuß Zeugnis ablegen. Ihnen
gegenüber ist die Gestalt des Menschen eine Primitivform und
biologisch älter als der Affe. Entweder also (wenn man auf dem
darwinistischen Standpunkt verharren will) man widerlegt das
Dollo-Abelsche Gesetz, auf dem die ganze paläontologische
Wissenschaft beruht, oder man gibt Rechenschaft darüber, wo die
höheren Affenarten im Verlauf ihres Entwicklungsweges zum
Menschen ihre langen Arme stehen gelassen haben.
Die Auffassung, daß Mensch und Affe zwei unabhängige,
getrennte Stämme sind, so also, wie zwei Spargeltriebe
nebeneinander aus dem Wurzelstock sprießen, wie von Max
Westenhöfer u. a. vertreten. Sie ist die nüchternste und
damit das Minimum, das man sagen kann; denn es gibt natürlich
keine »Zwischenglieder« zwischen Affe und Mensch, und
alles, was an dergleichen gefunden zu sein scheint, ist entweder Affe
oder Mensch in Kümmerform. Die andere Auffassung dagegen,
daß der Affe ein Abkömmling des Menschen sei und schon
früh aus dessen Stamm »entlassen«, ist die von Edgar
Dacqué, der über sein vorbildliches Fachwissen hinaus
noch über geniale Substanz verfügt. Stimmt man dieser
Auffassung zu, für die sich ein meßbar wissenschaftlicher
Beleg freilich nicht recht finden lassen will, so stößt
man allerdings auf »Urszenen des Menschengeschlechtes«
(NIETZSCHE), die an Großartigkeit nichts zu wünschen
übrig lassen. Solch eine entwicklungsgeschichtliche
Entlassungsszene muß ein Ausmaß gehabt haben, wie das der
»Vertreibung aus dem Paradiese«, die in der plötzlich
einsetzenden Trennung von Verstand und Vernunft ihren Grund hat. Da
diese ungeheuerliche Umkehrung des à tout prix falschen
Gedankens Darwins aber von einem genialen Menschen stammt, so
verlohnt es sich, sie im Auge zu behalten; vielleicht, daß man
von anderweit her auf sie gestoßen wird.
Man kann vom heutigen Zustand der Entwicklungslehre sagen, daß
sie in ihren Grundzügen abgeschlossen ist, und daß im
Lager ihrer Wissenschaft Friede herrscht. Es scheint das Stadium
erreicht zu sein, das die Astronomie mit Newton erlangte. Weiter geht
es, wie dort, nur über die Philosophie. Man weiß und man
erkennt an, daß die Gestalt jeweils das erste ist, und
daß sie - unerklärbar - aus dem freien Spiel der Natur
ihren Ursprung nimmt. Sie ist unableitbar aus den Schicksalen, die
das Gestaltgewordene, also die tatsächlich lebenden Organismen,
in der Auseinandersetzung mit der Umwelt erfährt. Anpassung,
Kampf ums Dasein, Vererbung spielen sich am Rande der Entwicklung ab,
nicht im Zentrum, und sind als wirkende Kräfte schwächer
als die aus dem archetypischen Potential der Natur stammenden
Schöpfungsakte. Die Namen Lamarck und Darwin werden mit Respekt
genannt, denn durch sie erfolgte die Initialzündung für die
ganze Entwicklungslehre. Ihren Totalitätsanspruch freilich lehnt
man ab. So kann man in der ganzen Geschichte dieser Wissenschaft von
einem heimlichen Siege der platonischen Ideenlehre sprechen, was
niemand mehr ernsthaft bestreitet. Damit hat dann freilich auch das
erste Buch Genesis gesiegt, und die Hauptbedeutung der alten
Entwicklungslehre liegt in ihrer Widerlegung. Die Natur ansehen, als
ob ihre Gegenstände Dinge an sich seien, das dürfen die
Physiologen; von dem Augenblick an, wo man nach ihrer letzten
Herkunft fragt, also nach den Arten, treten diese Objekte notwendig
als Erscheinung auf; dadurch wird der kantische Standpunkt
unwiderruflich.
Trotz dieses Friedens intra muros ist aber ein militanter Darwinismus
übriggeblieben, der keine Ruhí geben will. Er ist
tendenziös, steht im Dienste der Emporkömmlingswünsche
und vertritt im besonderen die Meinung, daß die Werte des
höheren Menschentums sich aus den niederen ableiten
ließen. Das ist also noch ein Schritt weiter in die eigentliche
Menschennatur hinein. Wird ein solcher Darwinismus nun Staatsdoktrin,
so kann er lebensgefährlich werden für ein ganzes Volk, das
sich ihm unterwirft, und ist es geworden. Hier richtet sich auf
einmal unversehens die Rassenfrage auf.
*
Dem Darwinismus ist der Vorwurf gemacht worden, daß er von der
Religion ablenke. Mein Großvater sagte: »Wenn der Mensch
vom Affen abstammte, so könnte er das Wort Gottes nicht
hören.«
Die Buchstabengläubigen wollen das Sechstagewerk retten; aber
darauf kommt es nicht an. Die Rechtgläubigen wissen, daß
die Welt Schöpfung ist, und das allein entscheidet.
Ein hohes Verdienst um die Widerlegung des Darwinismus erwarb sich im
Anfang dieses Jahrhunderts der junge Denker Max Steiner mit seinem
Buch: »Die Lehre Darwins in ihren letzen Folgen«. Er
vertrat als Jude in Preußen einen konservativ-christlichen
Standpunkt.
6. DIE DREIFACHE GLIEDERUNG DER RASSENFRAGE
Auch über den Rassenbegriff gibt es nicht mehrere Arten zu
denken, sondern nur eine, die von der Natur und, beim Menschen, von
der Geschichte vorgeschrieben ist. Um den am tiefsten in der Natur
verankerten Begriff von Rasse, den ich den anthropologischen nennen
will, zu verstehen, ist ein Rückgriff auf die anschauliche Welt
vonnöten. Ich bin mir bewußt, daß das, was ich hier
vorzutragen habe, keine andere Stütze hat, als eben diese
anschauliche Welt und ein dabei auftretendes Gefühl im Subjekt,
das der Urteilskraft angehört, und zwar der ästhetischen
zunächst, dann aber auch der moralischen. Bei wem dieses
Gefühl nicht eintritt und wer statt dessen in die begriffliche
Welt zurückspringt, dem vermag ich mich nicht verständlich
zu machen. Ich müßte ihn nur bitten dieses »das
verstehe ich nicht«, das hier einsetzt, nicht für eine
Grenze der Dinge zu halten, sondern für die Grenze seines
Verstandes.
a) Die beiden anthropologischen Rassen
Lamarck vertrat bekanntlich die Ansicht, daß einige
Schwimmvögel, wie Gans und Schwan, deshalb im Laufe der Zeit
einen so langen Hals bekamen, weil sie die Gewohnheit hatten, ihre
fischige Nahrung tief unter sich im Wasser zu suchen. Unter Vorbehalt
des archetypischen Primates mag das hingehen, und bei der Gans
besonders kann man die Länge des Halses als
Anpassungserscheinung begreifen; die Ente ist bescheidener gewesen,
eben weil sie Ente ist. Beim Schwan dagegen genügt diese
Erklärung offenbar nicht; hier bekommen wir den Eindruck, als ob
die Natur noch mit besonderen Kräften aus ihrem archetypischen
Haushalt herausgekommen sein und als freies Spiel die Gestalt eines
edlen Tieres hervorgebracht habe im Gegensatz zu seinen
ordinären Verwandten. Der Schwan hat nicht nur einen
längeren Hals, als Gans und Ente, er trägt ihn auch anders.
Das ist der Ort, an dem die transzendentale Besinnung einsetzen
muß und fragen: ist dieses Edle ((to eugeneos) ein Spiel der
menschlichen Phantasie oder gründet es objektiv in der Natur und
hat seine Entsprechung im Subjekt?
Die Natur hat dieses Schauspiel noch mehrere Male wiederholt und zwar
vorzugsweise bei nahe verwandten Arten; so setzte sie neben den
ordinären, aber tüchtigen Esel das edle Pferd; die Betonung
des Edlen beim Hirsch geschah indessen nicht so ausgeprägt auf
Kosten des Damwildes. Aber es genügt, dieses Beispiel
anzuführen, die doch auffallen und für die eine
Erklärung aus bloßer Anpassung nicht ausreicht. Vielmehr
ist hier etwas betont, das unser ästhetisches Wohlgefallen in
besonderer Weise anregt. Wir gehen aber noch weiter und sagen,
daß der Widerhall dieses seltenen Schöpfungsprinzips in
der Natur auch in der Ethik spürbar ist - denn sonst gäbe
es nicht Handlungen des Menschen, die wir unverkennbar als solche des
Edelmutes verstehen, und die sich sowohl von den guten Handlungen aus
dem Gesetz, wie von den Handlungen aus Güte, getrennt vom
Gesetz, immerhin noch unterscheiden.
Wenn im dreiundzwanzigsten Gesange der Ilias Achill dem flehenden
Priamos die Leiche seines Sohnes, die er noch eben zu Ehren des
Patroklos zu schänden gewillt war, zurückgibt, so
entspringt diese Tat nicht etwa dem Gebot der Nächstenliebe oder
einem dumpf gefühlten Vorläufer davon, auch nicht der
Güte, denn die gab es im vorchristlichen Altertum nicht, sondern
dem Edelmut, den er besaß, weil er aus edlem Stamme war. - Im
zweiundzwanzigsten Gesange der Odyssee ruft Odysseus die alte
Schaffnerin Eurykleia in den Saal herein, in dem die blutigen
Leichname der Freier regellos umherliegen:
Als sie nun die Erschlagenen sah und die Ströme des Blutes,
Wollte sie laut aufjauchzen ob seiner gewaltigen Werke.
Aber Odysseus hielt sie zurück und wehrte dem Eifer.
Und er begann zu ihr und sprach die geflügelten Worte:
»Freu dich im Herzen, Alte, und hüte dich, laut zu
frohlocken!
Sünde wärís, über tote Feinde offen zu
jauchzen.
Diese vertilgte der Götter Gericht und ihr böses
Beginnen.«
Od. XXII, 407 ff. (Voss)
Auch diese Haltung des Odysseus gründet sich naturunmittelbar
auf seiner edlen Abstammung, und jeder Versuch, sie aus dem
Sittengesetz abzuleiten, würde sie nur innerlich unwahr machen.
- Bis an die Grenze der Bewußtheit, also der Gefährdung,
gelangt das Gefühl der adligen Abstammung und der auf ihr sich
gründenden Souveränität beim Telamonier Aias. Dieser
hatte im Kampf um die Leiche des Achill die entscheidenden
Schläge geführt und sie gerettet: ihm gebührten daher
nach altem Kriegsbrauch die Waffen. Beim Schiedsgericht aber betrogen
die Atriden und Odysseus ihn um sie. Darüber gerät sein
Ehrgefühl in fassungslose Wallung und er beschließt, seine
Feinde zu ermorden. Durch den Eingriff der Athene wird er vom
Wahnsinn befallen und er stürzt sich statt auf jene auf eine
Schafherde und richtet unter ihr ein Blutbad an. Beim Erwachen aus
seinem Wahn sieht er, was er angerichtet; er kann den drohenden
Triumph seiner Feinde und den Hohn des Volkes nicht ertragen und
beschließt sich in sein Schwert zu stürzen. Aus dunklen
Andeutungen, die er macht, errät Tekmessa, sein kriegsgefangenes
Weib, den Plan und bestürmt ihn, davon abzulassen; denn was
solle sie und ihr Sohn Eurysakes machen ohne ihn, Aias, den Vater und
Beschützer. Das Los der Knechtschaft sei ihnen gewiß, denn
sie sein, obwohl königlichen Stammes, nur Kriegsbeute und
niemand würde in ihr die Gemahlin des Telamoniers ehre. Beim
Hören dieser Verse aus Sophoklesí Aias ist es schwer der
Tekmessa nicht zuzustimmen, und der Chor tut es auch; fast erwartet
man einen Umschwung in der Seele des Todbereiten. Aber es folgt nur
noch ein harter Wortwechsel, und die letzten Worte, die Aias zu
seiner Gattin spricht, lauten: »Töricht denkst du, wenn du
jetzt in dieser vorgerückten Stunde glaubst, meinen Charakter
schulmeistern zu können.«* Dann setzt der Chor ein mit dem
Lied auf Salamis. - Das Wort »ethos« aber, das hier
Sophokles den Aias für seinen innersten Charakter gebrauchen
läßt, zeigt die Konfliktstelle zwischen den Handlungen aus
adligem Stamm und den moralischen Vorhaltungen, die sich im Recht
befinden. Denn zweifellos liegt dieses auf seiten der Tekmessa, aber
die heldische Handlung des Aias erfolgt trotzdem aus dem
unergründlichen Charakter der adligen Natur. Auf einmal steht -
das ist das Wunder - der Hörer auf der Seite des Helden. Das
aber könnten wir gar nicht, wenn nicht in uns selber etwas
wäre, das uns die tiefe Naturgeborgenheit des Edlen - das nicht
das Moralische ist - verbürgt. Die nachhaltige Wirkung des Epos
aber beruht eben darauf, daß in ihm Menschen handeln, die einer
höheren Rassen angehören, Aristoi, und deren Taten und
Leiden wichtiger sind als die der anderen, die bestenfalls moralisch
verlaufen können. - Das alles aber, was hier als Beispiel
vorgetragen wurde, ist die Stelle, auf die NIETZSCHEs Ethik hinaus
will, die er mit Recht, »Immoralismus« nannte. Der Verlust
der adligen Substanz ist in der Tat ein unersetzbarer und hat mit
transzendentaler Notwendigkeit den Niedergang des Menschentums zur
Folge.
Man muß nach der tiefsten Wurzel für dieses Erscheinungen
suchen, und man findet sie in der anschaulichen Welt beim
Abstammungsgrunde des Menschen. Sehen wir die beiden Stämme Affe
und Mensch wie zwei Spargeltriebe nebeneinander aus dem gemeinsamen
Boden der Säugetiergattungen aufschießen, so fällt
uns gestaltmäßig sofort ins Auge, daß hier das
Gleiche im Spiele ist, wie zwischen Gans und Schwan, Pferd und Esel,
und zwar sehr deutlich betont. Zwischen jedes dieser Paare hat die
Natur die Zeugungsschranke gesetzt, wenn ihre Hand auch ihn und
wieder unsicher ist; wo Begattungen stattfinden, wie zwischen Esel
und Pferd, da sind die Bastarde unfruchtbar. Durch die
Zeugungsschranke will die Natur betonen, daß hier die Grenze
einer echten Art liegt; sie sichert sie dadurch, wie als ob sie sagen
wollte: »Ich habe mit dem Pferd durchaus etwas anderes gemeint,
als mit dem Esel!« Nun ereignet sich aber beim Menschen, dessen
Zeugungsschranke zum Affen hin völlig unübersteiglich ist,
das Verhängnisvolle, daß dieses gesonderte und
abgesonderte Säugetier in sich selbst diesen paarigen Vorgang
noch einmal durchmacht, ohne daß die Zeugungsschranke auftritt.
Das heißt, die Menschheit ist in sich selbst in zwei Rassen
aufgegliedert, von denen die Ordinäre, die andere das Edle
darstellt, genau so wie Gans und Schwan, Pferd und Esel. Das ist der
anthropologische Rassenbegriff, dem die ganze Menschheit unterliegt,
abgesehen davon, in wieviel ethnologische Rassen sie noch im
übrigen eingeteilt ist.
Diese Lehre von der Allogenität des Menschengeschlechtes ist mir
vor einem Vierteljahrhundert eingefallen, und ich habe sie hier und
da verwendet, manchmal zu weitgehend, dann wieder sehr
eingeschränkt. Da mir jede Überzeugungstreue fehlt,
ließ ich sie viele Jahre liegen und hielt sie fast für
einen Irrtum; aber die Treue lag auf ihrer Seite und ich konnte mich
ihrer schließlich nicht erwehren, nachdem die Ereignisse der
letzten zwölf Jahre mir ihre Wahrheit erneut aufgedrängt
haben; denn sie liegt offenbar im Kern der Geschichte und erreicht in
dieser Zeit eine Selbstbetätigung, wie sie noch kein anderes
Jahrhundert hat aufweisen können. Ich muß sie daher von
neuem und von einer neuen Seite her erklären.
»Allogen« heißt hier »zwei Wurzeln haben«,
von denen jede in einem anderen Boden steckt; »homogen«
dagegen hieße »gleichmäßig aus einer Wurzel
kommend«. Die zwei anthropologischen Rassen, aus denen der
Mensch besteht, nannte ich die »primäre« und die
»sekundäre«. Hier heißt
»sekundär«, »das Zweitwichtige schaffen« und
ihm verhaftet sein, also alles Nützliche, was zum biologischen
Bestande nötig ist; »primäre« heißt
»Schöpfer und Träger der Kultur sein«. Es liegt
teilweise in Deckung mit der genialen Zone der Menschheit.
Physiognomisch drückt sich das so aus, daß der
starkknochige plumpe Typus mit der dicken Hirnschale, den
hervortretenden Backenknochen, wulstigen Lippen und groben
Händen, dem anderen gegenübersteht, dessen feingliedriger
Bau, schlanke und zarte Erscheinung, schwebender Gang eben das ist,
was man Adel nennt, ein Phänomen, auf das unter allen heutigen
Völkern die Engländer den größten Wert legen und
es auch am stärksten hervorbringen (vgl. hierzu etwa die
Selbstbiographie von Frank Harris). Aber es ist nicht so, daß
man sagen kann, er gehöre der primären
oder der sekundären Rasse an, so wie man sagt, er gehört
zur slawischen oder zur mongolische; sondern da es sich um den
anthropologischen Rassenbegriff handelt, so trägt jeder Mensch
beide Rassen in sich, so wie wenn eine Gans zugleich auch Schwan
wäre. Das eben kommt beim Menschen vor und ist sein rassisches
Grundschicksal. Es sind zwei Schöpfungsthemen, die sich bei ihm
auswirken und die ihn an den Rand der Verzweiflung treiben
können. Ich bin immer der Meinung gewesen, daß die
seltsamen beiden Schöpfungsakte, aus denen der Mensch nach dem
Wortlaut der Bibel (Genesis 1 und 2) hervorgeht, nämlich
»nach dem Angesichte Gottes« und »aus einem
Erdenkloß« die Widerspiegelung eben dieses Tatbestandes
sind; aber die Theologen haben es mir bisher noch nicht glauben
wollen. Je mehr ich aber den hebräischen Urtext zu Rate ziehe,
umso überzeugter bin ich davon.
Daß der historische Adel ein besonderes Züchtungsprodukt
ist und den wertvollsten Teil eines Volkes bildet, sei hier nur
erwähnt: er setzt aber den natürlichen, von dem hier die
Rede ist, als Basis voraus; denn was nicht vorher da war, kann nicht
gezüchtet werden. Das Verhältnis der genialen Zone der
Menschheit aber zu deren primären Rasse ist nicht etwa so,
daß der einzelne Träger von genialer Substanz sich
proportional mit deren Intensität dem reinen Typus des Edlen
nähert. So wünscht man es freilich; allein hier können
Rëinkarnations-Schwierigkeiten auftreten, und mancher hat an
einem ungefügten Leibe zu tragen, der die Gestalt eines Engels
zu verdienen scheint. Wer weiß, was da manchmal vorliegt!
Luther müßte eigentlich aussehen wie der Abbé
Fénélon oder wie Pascal; er hat aber eine ausgesprochen
bäurisch-plebejische Statur und benimmt sich auch danach,
Sokrates war »Pöbel« (NIETZSCHE), und dem René
Descartes möchte man auch nicht gerne im Dunkeln begegnen.
Dagegen halte man die vielen wirklich edel geformten Gesichter der
sogenannten »nordischen Menschen« der letzten zwölf
Jahre, und man ist erstaunt über die nichts-sagende
Ausdruckslosigkeit und deren gänzliche Leere, die sich mit jedem
Inhalt füllen läßt, denn auch der Teufel ist
fürstliche Majestät. Allein es ist eben nicht so, wie die
Rassen-Mystiker (besser Rassen-Materialisten) denken, daß die
biologische Rasse der Schöpfer des Geistigen ist. Sondern da der
Geist niemals vom Menschen kommt, sondern nur zu ihm (wenn er will),
so triff er auf das primäre Rassenelement im Menschen, das dann,
wie phosphoreszierend, aufleuchtet. Wenn man daher bei den
häßlichen Genien genau hinsieht, so findet man stets an
irgendeinem Teil eine sehr edle Ausprägung, meist bei den
Händen, die oft zart wie Frauenhände sind, den Lippen und
vor allem den Augen. Wer Sokrates oder Luther oder Descartes oder
sonst einem Häßlichen in die Augen sah, der wußte
sofort, mit wem er es zu tun hatte. Dieses Merkmal ist trotz seiner
Zartheit unwiderleglich. Es liegt also wohl eine Affinität
zwischen primärer Rasse und genialer Zone vor, aber keine
Produktivität. Die Natur hat an zwei ganz verschiedenen Stellen
ihrer Wirksamkeit zum Überschwange angesetzt.
b) Die ethnologischen Rassen
Der ethnologische Rassenbegriff ist rein empirisch und hat nichts von
einem transzendentalen oder metaphysischen Einschlag an sich, wie der
anthropologische. Wenn man von der mongolischen, der
indogermanischen, der hamitischen oder der semitischen Rasse spricht,
so meint man das ethnologisch und kann sich nun vielfach um die
brauchbarste Einteilung streiten. Die Rasse ist das allgemeinste
Gebilde, das sich nun, bestimmt durch die geographische Lage, zu den
Völkerschaften und Stämmen verengt, während man unter
einem Volk bereits etwas versteht, was in die Geschichte eingetreten
ist. Doch wechselt der Sprachgebrauch. Die Wissenschaft, die sich
damit beschäftigt, heißt Ethnologie oder Völkerkunde
und hat sich, parallel mit der Zoologie, im letzten Jahrhundert um
das paläontologische Material erweitert, so daß für
beide eine Entwicklungsgeschichte entstanden ist, die bis in die
ersten Zeiten verfolgbaren Lebens zurückreicht.
Wenn nun die Völkerkunde von hohen und niederen Rassen spricht,
so wenn sie etwa sagt, eine höherstehende Erobererrasse habe
eine niedrigere Urbevölkerung unterdrückt, versklavt, sich
mit ihr vermischt, oder umgekehrt: wo, frage ich, liegt der letzte,
von der Natur gegebenen Maßstab für dieses
»hoch« und »niedrig« ...? Der Ethnologe darf ja
nicht die Kulturen miteinander vergleichen, denn das liegt
außerhalb seines Fachraumes; er hat es ja nur mit dem
Naturphänomen der Völker und Rassen zu tun und darf auf
diese Brücke nicht treten. Trotzdem gebe wir ihm ja recht, wenn
er etwa sagt: die Serben stehen höher als etwa die Maoris in
Australien oder die Pygmäen im Kongo. Wir pflichten ihm bei,
aber es ist damit heimlich ein Maßstab untergelegt, den der
Ethnologe nur nicht kennt, der aber richtig ist: der Maßstab
des Rassenbegriffes im anthropologischen Sinne. »Die Serben
stehen höher als die Maoris« heißt nichts weiter als:
im Volke der Serben ist das primäre Rassenelement stark wirksam,
bei den Maoris nur noch schwach. Es ist also das geheime
Schöpfungsprinzip des Edlen gegenüber dem
Gewöhnlichen, die Allogenität des Menschengeschlechtes, die
hier wirkt, und, unbewußt, als Maßstab für die Worte
»hoch« und »niedrig« angenommen wird. Wir stimmen
diesem Maßstab zu, weil er in uns selber wirkt und von der
Natur her giltig ist.
Das primäre Schöpfungsprinzip »nach dem Angesichte
Gottes« zieht sich von einer Menschenrasse langsam zurück -
aus unerforschlichen Gründen - und überläßt dem
Walten des sekundären »aus einem Erdenkloß« den
Vorrang. So entstehen - durch Anpassung an die Umwelt
unerklärbar - die Kümmerrassen. Dieser Vorgang
läßt sich in allen erdgeschichtlichen Zeitaltern bis auf
den heutigen Tag in gleicher Weise beobachten, und nirgends ist eine
Spur von Höherentwicklung des ganzen Menschengeschlechtes zu
finden. Die Menschheit zerfällt, heute wie in den letzten
Epochen des Tertiärzeitalters, in genau die gleichen
hochstehenden, mittleren und Kümmerrassen. Das ist eine
Tatsache, die vom demagogischen Darwinismus, wenn er zu Wort kommt,
regelmäßig unterschlagen wird. Als Beispiel für jene
Kümmerrassen, in denen das Formprinzip der sekundären ohne
Gegenspiel die Oberhand gewonnen hat, möge man den
Eiszeitmenschen, den homo heidelbergiensis, vor allem aber den
Neandertaler nehmen, alles Rassen, wie sie, nicht sehr verschieden,
auch heute noch vorkommen. Nun hat man, im Anschluß an die
Darwinsche These der Höherentwicklung, stets gesagt: der heutige
homo europaeus sei eine höhere Entwicklungsstufe jenes
Neandertalers, der also damit in einem ununterbrochenen
Zeugungsverhältnis mit ihm stehe. Er hätte es so weit
gebracht; und wenn wir nur auf demselben Wege fortfahren, so bringen
wir es noch zu ungeahnter Vollkommenheit. Nun haben aber die Funde in
Oldoway in Ostafrika Menschenreste zutage gefördert, deren
Gepräge unverkennbar das des heutigen homo europaeus ist, und
die erdgeschichtlich älter sind als der Neandertaler.* Hieraus
geht hervor, daß jene Kümmerrassen unablässig
entstehen und vergehen, und daß sie keinerlei Ansprüche
haben, die Vorfahren der höheren zu sein.
Ich glaube, einmal in Webers »Demokritos« gelesen zu haben,
daß die Matrosen des ersten Schiffes, das in Patagonien landete
und dort auf die ansässige Urbevölkerung stieß, die
Weiber dieser Feuerländer nicht anzurühren vermochten - was
bei Matrosen schon allerhand heißen will. Hinter diesem Bericht
steht ein ernstes Motiv. Es gibt kaum eine Grenze von
Häßlichkeit, Schmutzigkeit, Verkommenheit, die nicht von
einem lange aufgestauten Geschlechtstrieb spielend überrannt
wird; ja, wer in der sogenannten Sexualwissenschaft, bewandert ist,
also sagen wir ehrlich: wer gerne pornographische Bücher liest,
der weiß, daß hier oftmals ein besonderer Reiz enthalten
ist. Aber, wenn der Gegenstand der groben Geschlechtslust
aufhört, Person zu sein und nur noch Individuum ist, dann setzt
sie spontan aus. Wir hatten in der Betrachtung des Eros, diesen Punkt
als den wesentlichen am ganzen Phänomen hervorgehoben. Wenn also
jene Matrosen in so unseemännischer Weise reagierten, so
könnte das ein Zeichen dafür sein, daß jene
Urbevölkerung sich im letzten Stadium des Menschseins befand;
die Rassenverkümmerung, d. h. die Vorherrschaft des
sekundären Prinzips, hatte ein Maß angenommen, das die
Zugehörigkeit zum Menschentum in Frage stellte.
Klar aber sehen wir, wie die Natur anfängt, die Zeugungsschranke
aufzurichten, und wir kommen auf das was Edgar Dacqué das
»Entlassen aus dem Menschenstamme« nennt. Jedenfalls
läge hier das erste, bloß negative, Stadium vor. Denn es
besteht ja sonst zwischen allen Menschen und allen Rassen
mögliche Geschlechtergemeinschaft. Hier aber erhebt sich
instinktiv ein Veto; wenn diese Weiber bloß noch Individuen
sind, dann gibt es nur generative Geschlechtsvorkommnisse mit
Männern, bei denen es ebenso ist, also mit ihren
Stammesgenossen. Der ganze Stamm, geographisch ohnehin abgeschnitten,
würde daher der Inzucht anheimfallen, und wenn wir uns dieses
Zustand genügend lange Zeit hindurch beibehalten denken, so
könnte man hier vor einem Entmenschungsprozeß stehen.
Gleichzeitig mit dem Versiegen des persönlichen Eros würde
es dann auch zu einem Abwelken der Vernunft kommen, die einen
jahrtausendelangen Leerlauf einfach nicht ertragen kann; und dann
käme eines Tages der Augenblick, da die Entlassung vollzogen
ist. Anstelle der verlorengegangenen Menschheitsmerkmale Eros und
Vernunft könnte man sich dann sehr wohl eine Veränderung
der Gliedmaßen vorstellen, eine Anpassung an das Baumleben, das
nun anhöbe. Denn die menschliche Gestalt ist,
entwicklungsgeschichtlich gesehen, eine Primitivform, aus der sehr
wohl unter dem Druck der Umweltforderungen lange Arme und
Kletterfüße entstehen könne: niemals aber umgekehrt.
Indessen, das ist eine Konstruktion - wenn auch kein Spiel - der
Phantasie, und zwar der exakten, um Dacqués Entlassungstheorie
anschaulich zu machen. Nur wenn es etwa so ist, daß wirklich
das ganze Affengeschlecht vom Menschen abstammt, der Mensch sich also
durch Entlassungsakte gewissermaßen reinigte - so faßt es
Dacqué auf -, dann ist dieser Prozeß offenbar nicht
abgeschlossen und dann müssen noch mehr solcher Entlassungen
bevorstehen oder schon angebrochen sein.
Aber es findet im anthropologischen Rassengefüge des Menschen
noch etwas anderes statt: der Ausschlag nach der Gegenseite. Nach
unten zu versiegen die Kümmerrassen allmählich im
Tierreich, nach oben zu versucht das primäre
Schöpfungsprinzip durchzubrechen und sich vom
Erdenkloß-Druck der sekundären Rasse zu befreien; es kommt
dann zur Bildung einer epischen Schicht von Heroen und Göttern,
die im Altertum auch wirklich für kurze Zeit angehalten hat. Ihr
Niederschlag im Wort heißt Epos, dessen Höhepunkt Homer
und die kyklischen Dichter.
Das mag auch sonstwo in der Welt stattgefunden haben; ich rede hier
nur von der europäischen Tradition. - Während also nach
unten zu der Mensch sich über seine Kümmerrassen sinnlos in
den Wald hinein verklettert und verdirbt, öffnet sich nach oben
hin über die epische Schicht eine neue Aussicht, und die
einzige. Denn noch einen Schöpfungsruck weiter über sie
hinaus, und wir stehen vor dem Thema des Menschensohnes, um welches
das Leben Jesu von Nazareth kreist.
c) Die sakrale Rasse
Der dritte, noch ausstehende Begriff von Rasse ist der der sakralen
und hat nur ein Beispiel: das Volk Israel. Den Gründungsakt
durch Abraham hatten wir schon mehrfach erwähnt; es folgen als
einschneidende Ereignisse: die sinaitische Offenbarung und die
Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. Alle diese
Vorgänge unterscheiden sich von denen, die andere Völker
betreffen, dadurch, daß sie aus dem Bereich der reinen
Geschichte stammen und unmittelbar auf die Rassensubstanz eingewirkt
haben.
Eines ist sicher: das Volk Israel oder, wie wir heute kürzer
sagen, die Juden, haben eine innere Struktur, die sonst bei keinem
Volk vorkommt, und es hat daher auch einen Sinn - wenn auch nicht den
von den Juden selbst gemeinten -, wenn sie sich das
»auserwählte Volk« nennen. Ihre Lage ist in der Tat
eine völlig singuläre. Gar keinen Sinn hat es, dem Volke
Israel mit ethnologischen Rassebegriffen beizukommen und damit etwas
erklären zu wollen. Solche Bücher reden mit jedem Satz von
etwas anderem als wovon die Rede ist; man soll sie einfach
zuschlagen. Das Volk Israel ist das einzige, in dem Rasse und
Religion ein und dieselbe Sache sind, so, daß die Religion der
Erblichkeit unterliegt und im übrigen Grund des Volkes, nicht
dessen Wirkung ist. Wohl aber unterliegt es dem anthropologischen
Rassenschicksal, denn es trägt in sich, wie jedes andere, ein
primäres und ein sekundäres Schöpfungsprinzip.
Während aber bei den übrigen Völkern sich diese beiden
Elemente allmählich durchdringen, so daß ein langsamer
Übergang entsteht, scheint es beim Volke Israel in diesem Punkte
heiß zugegangen zu sein. Im Talmud ist die Rede von den
»zwei gesegneten« und den »zehn verfluchten«
Stämmen Israel, was also bedeuten würde, daß die
primäre Rasse sehr hart, sehr exklusiv, sehr entschieden von den
andern abgesondert ist (man denke an Köpfe wie die Gustav
Landauers, Martin Bubers, Theodor Herzls, die kaum ein anderes Volk
aufzuweisen hat). Und in der Tat erleben wir das im Verkehr mit dem
Volke Israel. Dagegen breitet sich die sekundäre Rasse in
aufdringlicher Deutlichkeit aus, so daß die meisten denken, es
gäbe überhaupt nur solche Juden, während die
primäre in undurchdringlicher Zurückgezogenheit verharrt,
in tiefster Verachtung gegen den Stammesgenossen sekundärer Art
und in großer Liebe zum Adel der Gastvölker. Dabei ist
noch zu bemerken, daß die sekundäre Rase des Volkes Israel
niemals neandertaloide Züge annimmt; es ist keine Spur von
Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Wald- und
Eiszeitmenschentum, sondern die Sache hat sich irgendwie anders
vollzogen, und der sekundäre Rassejude, mehr die Merkmale der
Entartung tragend, ist der Auslöser des vulgären
Antisemitismus geworden. Die Natur hat beim Volke Israel in der
sekundären Rasse besonders tief hinunter und in der
primären besonders hoch hinauf gegriffen, und diese
eigentümliche Anlage sichert ihm einen außerordentlichen
Bestand für den Lauf der Weltgeschichte.
Wer diese Dinge als Staatsmann in die politische Ebene trägt,
aber in Unkenntnis der Hintergründe und ohne zu ahnen, mit wem
er es zu tun hat, sich vergreift, der ist samt seinem Volke dem
Untergang geweiht.
|
|